Grimms Märchen in aktuellem Gewand
An der Münsterstraße hatte „Aschenbrödel“ von Jewgeni Schwarz Premiere. Obwohl schon 65 Jahre alt, wirkt das Stück kein bisschen angestaubt.
Düsseldorf. Luk Pfaff ist in Christof Seeger-Zurmühlens Inszenierung „Aschenbrödel“ ein viel gefragter Mann: Torwächter im Märchenreich, eine von Aschenbrödels zickigen Stiefschwestern — und verträumter Prinz, für den der Papa auf Brautschau geht. Und weil’s zum Schluss mit dem Kleiderwechsel nicht ganz so flott geht, muss der König warten, bis Pfaff aus der roten Ballrobe in das Kronprinzengewand geschlüpft ist. „Darauf warte ich gerne“, so des Königs lapidarer Kommentar zu dieser Zwangspause.
Jewgeni Schwarz’s Märchenstück, das am Sonntag im Jungen Schauspielhaus an der Münsterstraße uraufgeführt wurde, besticht durch die liebenswerten Ticks seiner Figuren. Geschickt unterstreicht die Inszenierung die in den Figuren angelegte Skurrilität, ohne an irgendeinem Punkt in Klamauk abzudriften. Das menschlich Anrührende steht stets im Vordergrund. Eine Mischung, die die Kinder zum Lachen und die Erwachsenen zum Nachdenken bringt.
Da ist einmal der König, der sein aus den Fugen geratenes Märchenreich nicht mehr regieren will. Lustlos und in Unterwäsche lümmelt René Schubert auf seinem Thron herum, will Auswandern oder zum Teufel gehen und lässt sich am Ende von seinen Torwächtern doch zum Weitermachen überreden und in sein tonnenförmiges Königsgewand stecken, in dem er zur Karikatur seiner selbst wird. Schubert meistert die von ihm abverlangte Gratwanderung mit Bravour: Anrührend hilflos zappelt er nach einem Zusammenstoß mit Aschenbrödels Stiefschwester wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken, bis ihm die schöne Unbekannte wieder auf die Beine hilft. Um am Schluss überraschend elegant das Tanzbein zu schwingen, als er seine Wahl-Schwiegertochter wiedererkannt hat.
Bei Schwarz ist es nicht der Prinz, der in der grauen Maus Aschenbrödel die schöne Unbekannte vom Ball wiedererkennt. Denn sie ist die Einzige, die unverfälscht ehrlich ist, was ihn schon beim Ball beeindruckt hat. Dass sich Prinz und Aschenbrödel ineinander verlieben, ist märchenbedingte Zugabe. Auch an anderen Stellen bürstet Schwarz den Grimm’schen Stoff gegen den Strich: Die böse Stiefmutter ist eine vom Knüpfen gesellschaftlicher Verbindungen überforderte alleinerziehende Mutter. Und die gute Fee ein deprimierter Kommentator aus dem Abseits.
Doch bei allen philosophischen Zwischentönen, die dem Stück eine erstaunliche Aktualität verleihen, kommt der Spaß nicht zu kurz. Köstlich der Zickenkrieg zwischen den drei Schwestern im Vorfeld des Balls. Ebenso vergnüglich die Verfolgungsjagd quer durch den Thronsaal, als Aschenbrödel zu Mitternacht den Saal verlassen will. Langer Applaus am Ende und unzählige Zugabe-Rufe des jungen Publikums.