Interview Hauschka sucht das andere Extrem

Düsseldorf · Den Düsseldorfer Pianisten und Komponisten Volker Bertelmann – „Hauschka“ – muss man nicht mehr vorstellen. Er war mit seiner Filmmusik für einen Oscar nominiert, ist weltbekannt. Doch der authentische Klangkünstler ist anders als viele seiner Kollegen aus Hollywood. Im Gespräch verrät er wieso.

Hauschka – das ist Volker Bertelmann – lebt in Düsseldorf. Seine Kunst hat es indes bis nach Hollywood geschafft.

Foto: picture alliance / Rolf Vennenbe/Rolf Vennenbernd

In diesem Jahr ist Ihr Album „A Different Forest“ bei Sony Classical erschienen, Sie machen viel Filmmusik, wurden für die Musik für „Lion – Der lange Weg nach Hause“ sogar für den Oscar nominiert, machen aber beispielsweise auch Kooperationen mit anderen Künsten wie Tanz. Was steht als nächstes an?

Volker Bertelmann (Hauschka): Neben meinen Platten arbeite ich zurzeit in der Tat überwiegend an Filmmusik; dieses Jahr habe ich die Musik zu fünf verschiedenen Filmen gemacht und jetzt stehen noch einige weitere Projekte an. A „Christmas Carol“ für die BBC – wie schon bei „Lion“ gemeinsam mit Dustin O‘Halloran – oder beispielsweise die Musik für den Sciencefiction-Film „Stowaway“ von Joe Penna, der 2020 in die Kinos kommen wird. An der Arbeit für Filme habe ich im Moment sehr viel Freude. Auf dem Gebiet des performativen Tanzes und Theaters gab es beispielsweise im August eine Premiere mit einer amerikanischen Choreografin – Aszure Barton. Mit ihr arbeite ich an einem Tanzstück in Hamburg auf Kampnagel. Konzerte gebe ich im September mit dem WDR-Rundfunkorchester im Sendesaal; da spiele ich überwiegend Stücke mit meinen Arrangements für Orchester. Ansonsten sitze ich im Studio und arbeite fleißig vor mich hin. (lacht)

Wie kam Ihre große Vorliebe, für Filme zu komponieren?

Hauschka: Als ich 18 Jahre alt war, wurde das erste Mal Musik von mir für eine Serie – es war „Ein Fall für zwei“ – genutzt. Das ist schon eine Weile her, das war 1984 und schon damals hatte ich das Gefühl, dass ich sehr gerne Filmmusik machen möchte. Meine Musik wurde aber damals lediglich als „Source Musik“ verwendet. Das bedeutet Musik, die in einem Film etwa aus dem Radio kommt oder Songs, die von einer Band gespielt werden.

Und wie ging es weiter mit der Filmmusik?

Hauschka: Ich hatte in meinem Umfeld keine Menschen aus der Filmbranche, so war es für mich ein langer Weg, um mit Menschen in Kontakt zu treten, die Filme machen. Ich versuchte zunächst, alle Produktionsfirmen anzurufen, um mich als Komponist anzubieten – doch das war nicht der richtige Weg. Aber dadurch habe ich zumindest schließlich einen Fahrer-Job bei einem Film von Sönke Wortmann bekommen. Ich spürte, dass mir das Metier sehr liegt. Schließlich bin ich peu à peu dazu gekommen, dass man mich anfing anzufragen, Filmmusiken zu schreiben.

Hat sich etwas in Ihrem Zugang, wie Sie Musik produzieren geändert, seitdem sie auch für Filme schreiben.

Hauschka: Ich war schon immer derjenige, der alles gemacht hat. Schon als Jugendlicher in meiner ersten Band, habe ich alle Songs geschrieben, sie aufgenommen, die Technik besorgt, das Studio für mich eingerichtet, von meinem Konfirmationsgeld meinen ersten Synthesizer gekauft. Mich hat immer der ganze Prozess von der Komposition bis zur Aufnahme interessiert und auch heute noch möchte ich zumindest verstehen wie Instrumente aufgenommen werden und wie man Sounds generiert.

Sind Sie grundsätzlich an technischen Dingen interessiert?

Hauschka: Ja, ich war immer sowohl interessiert an Technik als auch an Mathematik. Ich habe gerne gelötet, elektronische und wissenschaftliche Vorgänge lagen mir immer sehr nah. Im Studio trifft man auf all das. Da ist die Musik, aber da sind auch die technischen Fragen, Problemlösungen, die man angehen muss. Diese Mischung fand ich immer reizvoll und habe mir das von der Pike auf über die Jahre beigebracht.

Können Sie erklären, wie es dazu kam, dass Sie anfingen Klaviere zu präparieren, sie als – nennen wir es, vielleicht multidimensionale – Instrumente zu nutzen?

Hauschka: Ich kann mich für das Klavier, auch in seiner reinen Form, sehr begeistern. Wenn man ein Instrument technisch beherrscht, ist es ein ganz großartiges Gefühl. Es ist wie, wenn man eine Sprache beherrscht. Man spricht sie irgendwann blind, muss nicht mehr nachdenken und die Worte kommen aus einem heraus. So ist es beim Klavierspielen auch; man findet eine Ausdrucksform, die zu einer Erweiterung des eigenen Selbstverständnisses gehört. Der Sound, der Klavierklang ist allerdings recht beschränkt und das hat mir nicht gereicht. Als Jugendlicher war ich schon immer ein bisschen enttäuscht, weil ich mehr Klänge nutzen wollte als das Klavier an sich bot. Ich war zudem sehr interessiert an elektronischer, geräuschhafter Musik.

Hat das auch mit Ihrer ästhetischen Grundhaltung zu tun, ihrer Musikauffassung?

Hauschka: Meine Auffassung von Musik geht über die Setzung von Tönen hinaus. Im Moment sitze ich in einer Flughafen-Lobby in einer Lounge und hier sind wahnsinnig viele unterschiedliche Geräusche, die aber in sich einen Klangkörper ergeben, der einen eigenen Rhythmus hat. Auch wenn es kein gerader Rhythmus ist, aber es finden verschiedene Klangebenen gleichzeitig statt und das empfinde ich als Musik. Genau das wollte ich mit dem Klavier herstellen können. So habe ich Gegenstände in das Klavier geklebt oder zwischen die Hämmer und die Saiten und versucht noch einen zusätzlichen Klang auf die Saiten zu bekommen. So ist die Arbeit mit den präparierten Klavieren entstanden. Ich habe natürlich dann im Nachhinein erfahren, dass ich nicht der Erfinder bin, sondern dass es sehr viele Menschen vor mir gab, die das schon gemacht hatten. Aber zu dieser musikalischen Welt hatte ich zunächst keinen Kontakt.

Was Ihnen gelungen ist, ist, verschiedene Musikszenen harmonisch miteinander zu verbinden. Hat Sie der Erfolg, dass Sie damit so populär geworden sind, überrascht oder war Ihnen klar, dass man mit dieser Art von Musik sehr schnell die Herzen von einem relativ großen Publikum erobern kann?

Hauschka: Es war mir überhaupt nicht klar. In der Zeit, als ich mit dieser Musik angefangen habe, fing gerade auch das Internet an seine Wirkung zu zeigen. Zehn Jahre zuvor hätte ich mit dieser Musik wahrscheinlich keine Katze hinterm Ofen hervorgelockt. (lacht) Aber im Ernst: Es wäre wesentlich schwerer gewesen, diese Menge an Menschen, die eigentlich interessiert sind, zu erreichen. Das Problem ist oft nicht, dass es keine Menschen gibt, die solche Musik hören wollen, sondern dass es schwierig ist, sich selbst bei ihnen bekannt zu machen. Mir half das aufkeimende Internet und dass meine Fan-Gemeinschaft, durch meine Videos und Soundexperimente recht schnell wuchs. Die erste Hauschka-Platte war eigentlich als kleines Seitenprojekt gedacht. Ich hatte das Gefühl, das wird sowieso nichts, das ist so speziell.

Sie sprechen von einem Seitenprojekt. Was haben Sie in dieser Zeit hauptsächlich gemacht?

Hauschka: In der Zeit habe ich in der Musikschule in Haan-Hochdahl Klavierunterricht gegeben.

Man muss sich viel Zeit nehmen, um so etwas wie Ihre Musik zu machen.

Hauschka: Ja, wenn man viel Zeit in etwas investiert, ist das immer spürbar. Wenn jemand sich aufmacht, etwas kreativ zu durchdringen, lässt er einen Großteil der Menschheit hinter sich. Weil viele Menschen nur bis zu einem gewissen Punkt gehen. Das ist vollkommen in Ordnung. Wenn man aber etwas ernsthaft machen möchte, muss man einen sehr langen Atem haben, um es zu verbessern und den Bereich zu finden, der einem Spaß macht. Ich habe sehr lange auch verschiedenste Projekte in dem musikalischen Bereich gemacht, bei denen ich merkte: Das ist es noch nicht. Eigentlich erst recht spät fand ich meinen Weg. Als die erste Hauschka-Platte erschien, war ich schon 34/35. Die Hartnäckigkeit hat mir geholfen. Schon meine Mutter sagte zu mir, ich sei sehr hartnäckig.

Kann man sagen, dass Düsseldorf als Ort auch einen Einfluss darauf hatte, dass Sie sich in die Richtung entwickeln konnten, in die Sie wollten? Ist Düsseldorf eine Keimzelle? Nicht umsonst hieß eines ihrer Alben „Salon des Amateurs“, wie der gleichnamige Club im Gebäude der Kunsthalle.

Hauschka: Absolut. Vor allem die bildenden Künstler. Die Menschen um den Salon herum, wie Aron Mehzion, der der Gründer des Salons war. Es gab ja noch ein Café vor dem Salon, es hieß „Hellgrün“ im Ehrenhof. Da fing das für mich alles an, Sinn zu machen, vor allem in der Auseinandersetzung im Gespräch mit den Künstlern. Auch im Dialog über ihre Ansicht zu bestimmten kreativen Prozessen. Trotzdem herrscht in Düsseldorf kein Massenbetrieb, ein Druck, wie in Städten wie New York, London oder Berlin, wo sich alles akkumuliert. Das ist in Düsseldorf zum Glück überschaubar, das fand ich sehr angenehm. So hatte ich die Möglichkeit, mich ohne Druck zu entwickeln und auszuprobieren. Dazu gehörte auch die Auseinandersetzung mit anderen Kunstformen, auf dem Niveau hat man das in wenigen anderen Städten.

So auch die Verbindung mit Tanz.

Hauschka: Das ist auch sehr wichtig, sonst wird man zu einem Fachidioten. Die Bereiche befruchten sich untereinander sehr.

Sie sind seit 2018 Mitglied der Oscar-Academy. Machen Filmmusik für große Filme. Müssen wir Angst haben, dass Herr Bertelmann nach Amerika zieht? Wenn man Filmmusik macht, ist es naheliegend, dass man Hollywood erobern möchte wie beispielsweise Ihr Kollege Hans Zimmer.

Hauschka: Ich denke eigentlich, dass ich dort leben möchte, wo meine Familie ist und da wir alle in Düsseldorf sind, hatte ich nie das Gefühl wo anders hinzuziehen. Bis jetzt habe ich alles von hier aus machen können und hoffe, dass es so bleibt.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch mal über Ihr neues Album sprechen „A Different Forest“. Dort spielen Sie ein unpräpariertes Klavier. Ändert sich der Hauschka-Stil oder war es nur ein Experiment?

Hauschka: Ich wollte gerne mal nicht nur immer das machen, wofür ich bekannt bin, sondern auch die puristische Seite des Klaviers ausprobieren. Das habe ich auch schon früher gemacht, aber diese Stücke fanden bei meinen Independent-Plattenfirmen keine Abnehmer. Da kam die Idee auf, diese Sachen, also diese klassischen Arbeiten, bei einem klassischen Label zu veröffentlichen.

Sie waren schon bei Deutsche Grammophon mit der Geigerin Hilary Hahn.

Hauschka: Ja. Ich werde mit ihr noch weitere Sachen machen. Aber es wird sich noch herausstellen, bei welcher Plattenfirma wir das machen werden.

Sie haben jetzt einen Vertrag bei Sony Classical?

Hauschka: Ja.

Haben Sie nicht Sorge, zu sehr in die große Vermarktungsmaschine hineingezogen zu werden?

Hauschka: Ich weiß genau, was Sie meinen. Ich komme aus einer handgemachten Plattenkultur, in der man alles darf. In der Welt der großen Labels, gibt es manchmal merkwürdige Dinge. Das beste Negativ-Beispiel ist für mich das Album von Freddie Mercury und Montserrat Caballé – das war für mich der Crossover-Wahnsinn. Je mehr ich jetzt in eine Richtung gehe, wird die nächste Platte bewusst das andere Extrem sein.

Weitere Informationen zu Hauschka und seinem Schaffen gibt es auf seiner Internetseite: