„Ich bin anders. Ich bin Medea“

Hausregisseur Roger Vontobel reduziert die griechische Tragödie im Central auf einen 90-minütigen Kraftakt für die großartige Schauspielerin Jana Schulz.

Foto: Sebastian Hoppe

Düsseldorf. Hinter der Fassade hört man sie schniefen, schluchzen, stöhnen. Gemeinsam mit zwei kleinen Jungs, ihren verständnislos vor der Tür hockenden Söhnen, wird man zu Lauschern - was die Unbeherrschtheit dieser Mutter umso unerhörter macht. Immer schrecklichere Geräusche quellen aus dem Inneren hervor, bis sie ihn schließlich gebiert: einen Schrei, den kein Mensch erträgt.

Diesem Schmerz fehlt jede Mäßigung, so viel ist deutlich, bevor Medea vor das Haus tritt und die Tragödie ihren Lauf nimmt. Nur gut 90 Minuten braucht Hausregisseur Roger Vontobel, um diese alte Geschichte des Euripides im Central zu erzählen. Er reduziert das Geschehen auf die Hauptperson, auf Medea, die Fremde, die Betrogene und Verlassene, die hassende Halbgöttin, die mit ihren Zauberkräften wirkt, bis Mann und Kinder ausgelöscht sind.

Wie sich die Schauspielerin Jana Schulz dabei entmenschlicht, wie die Wucht ihrer Wut durch sie hindurch nach außen bricht, ist ein beeindruckendes Erlebnis. Der tödliche Plan hat diese Frau gepackt, so sehr sie ihren Kopf auch windet und die Augen verdreht. Alles, was sie aus Liebe zu ihrem Mann Jason bisher geopfert hat, würgt sie hervor. Für diese Extremistin, barfuß und im schwarzen Kapuzenpulli am Boden hockend, gibt es keinen anderen Weg: Nur wenn sie auch die eigenen Kinder tötet, kann sie ihren Mann wirklich treffen und ihn bestrafen, dafür, dass er sie in der Fremde verlassen und sich eine andere Frau gesucht hat, dafür, dass er den Eid ihrer Liebe gebrochen hat. Da kann der Chor noch so oft mahnend ins Mikro murmeln: „Ich wünsche mir Mäßigung, schönste Gabe der Götter.“ Selbst als sie die Söhne ein letztes Mal umarmt, ein letztes Mal ihre weiche Haut und ihren Duft spürt, wankt sie nicht eine Sekunde. „Ich bin Medea. Ich bin anders.“

Jana Schulz beherrscht diese Worte mit einem Wahnsinn im Blick, dass es einen schaudert. Das Innere Medeas manifestiert sich auf der Bühne als Haus, ein wie von Kinderhand gezeichneter Bau mit zwei Fenstern und einer Tür auf Rollen (Bühne: Muriel Gerstner). Vorne die glatte Fassade, hinten die gleiche Ansicht mit blätterndem Putz und Löchern in den Wänden, auf denen Buchstaben den Namen Hekate formen - die Mondgöttin, der Medea ihre übermenschlichen Kräfte verdankt.

„Hekate wohnt tief im Inneren“ heißt es an einer Stelle und gleich zu Anfang der Tragödie erklärt der Chor: „Das Haus ist nicht mehr.“ Ein Bild für Medea und dafür, dass ihr Handeln viel mehr ist als nur die Rache aus Eifersucht. Sie ist verloren. „Ich bin allein und ohne Heimat“, in diesen Worten steckt der Kern ihrer Verzweiflung, der dem Abend eine gelungene Aktualität gibt, ohne platt auf gegenwärtige Ereignisse zu verweisen.

Trotz Chor und einiger Szenen mit Jason (Torben Kessler), der geschickt um Einsicht wirbt, die Vorzüge von Gesetz und Gerechtigkeit rühmt, und Kreon, dem König, der Medea in die Verdammnis schickt (Claudia Hübbecker) und den das Schicksal der Kinder rührt, so dass er der Mutter einen Tag Aufschub gewährt und die tödliche Folge seiner Weichheit schon ahnt, ist der Abend nahezu ein Solo. Eine konsequente Inszenierung für Jana Schulz, die doch schnell vorüberzieht und die Möglichkeiten, die im Spiel der Protagonisten miteinander liegen, nur in wenigen Momenten bietet: Etwa wenn Medea ihren Mann listig um Verzeihung bittet, und die beiden Darsteller die Grenze zwischen Liebe und Hass gekonnt verschwimmen lassen. Davon hätte man sich mehr gewünscht.