Düsseldorf Festival Tanz der Hände in einer Spielzeug-Welt

Düsseldorf · In „Kiss & Cry“ inszeniert Michèle Anne De Mey beim Düsseldorf Festival eine Geschichte von Liebe, Sehnsucht und Erinnerung.

Michèle Anne De Mey und Regisseur Jaco Van Dormael lassen kleine Puppen und Figuren in Fantasie-Landschaften auftreten. Foto: Maarten Vanden Abeele

Foto: Marten Vanden Abeele

De Mey und ihr Partner Van Dormael eröffneten jetzt mit ihrer Film- und Hand-Tanz-Perfomance „Kiss & Cry“ (benannt nach der Bank, auf der Eiskunstläufer nach der Kür auf ihre Noten warten) das Düsseldorf Festival. Und bescherten im ausverkauften Theaterzelt auf dem Burgplatz ein poetisches Zauberwerk angetrieben von atmosphärisch aufgeladenen Musik-Nummern, das selbst Skeptiker und Theatermuffel begeistern kann. Und – wen wundert’s? – Jubelstürme entfachte. Ein solch sinnliches Spektakel verbunden mit einer Reise in vergangene Zeiten auf so engem Raum hat man hierzulande noch nicht gesehen.

Die Bühne sieht
wie ein Filmset aus

Wie ein Filmset sieht die Bühne aus. Die Aktionen werden live gefilmt und auf eine Groß-Leinwand projiziert. So können Zuschauer, besonders in den hinteren Reihen, in den Genuss eines Filmabends von gut 80 Minuten (Spielfilmlänge!) kommen. In den vorderen Reihen indes fällt der Blick auf die schwarz gekleideten Performer (darunter auch die Choreographin de Mey), Kameramann, Bühnen-, Ton- und Licht-Techniker. Alle sind permanent in Aktion.

Man sieht, wie eine Frau und ein Mann ihre Hände auf eine Tischplatte setzen, sie gleiten und fliegen lassen, sich umarmen und verknäueln. Sie schweben in einem Pas-de-deux der Hände davon, flattern vor Liebe, Leidenschaft, aber auch voller Sehnsucht und Panik. Man spürt an den Handbewegungen eine Panik davor, die Partner-Hand zu verlieren. Und staunt darüber, welch tänzerische Virtuosität die Perfomer-Hände erzielen und den Betrachter mit auf ihre Liebes-Abenteuer nehmen!

Dann sitzt eine ältere Frau (als Spielzeugfigur) auf einem Bahnsteig und lässt fünf Liebesgeschichten ihres Lebens Revue passieren. Es geht um Gisela – zunächst erzählt eine flüsternde Geisterstimme von ihrem ersten Flirt, in dem sie nur wenige Sekunden die Hände eines Jungen berührt. Und sich ihr ganzes Leben lang von dieser Erinnerung nicht befreien kann.

„Wohin gehen Menschen, was wird aus ihnen, wenn sie aus unserem Leben und aus unserer Erinnerung verschwinden?“ Diese Frage stellen de Mey und Van Dormael. Gisela packte sie einst in ein Schatzkästlein der Erinnerung. Diese kleine Box öffnet sie während ihrer Reise, nach und nach zieht sie die Schubladen auf. In ihnen schlummern die Männer, die sie in ihrem Leben geliebt hat. Von zärtlichen und rohen Liebhabern ist die Rede. Nach vollendeter Aufarbeitung der Erinnerung wirft sie die kleinen Modell-Figuren in einen Schlund. Mal begleitet von einer Barock-Arie aus einer Händel-Oper, dann von Yves Montands Chanson „Les feuilles mortes“.

All das verstärkt Sehnsucht und tiefe Melancholie – ähnlich wie in Marcel Prousts siebenteiligem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Doch keine Panik! Denn Van Dormael verdichtet die ausgedehnte, innere Zeitreise und reichert sie mit Humor und surrealen Bildern an. Besonders dann, wenn die tanzenden Hände durch filmische Vergrößerung wie menschliche Körper wirken, sich umschlingen und lieben. Oder dann, wenn eine Hand in ein Wolkenbild hineinfährt.

In diesem Moment werden christlich barocke Visionen plastisch – von der schützenden Hand Gottes, die den Menschen durch Höhen und Tiefen seines Lebens begleitet.

 Infos: „Kiss & Cry“ von Michèle Anne de Mey und Jaco Van Dormael.

Freitag, 15.Sept., 20 Uhr, Theaterzelt. Burgplatz. Düsseldorf Festival Ticket-Hotline: 0211/ 8282 66 22.