Kriminalität: Kein Vorbild, kein Abschluss — dann kam der erste Überfall
Polizei, Jugendamt und Justiz befassen sich intensiv mit ihren Fällen. Oft fruchtet ihre Arbeit — ansonsten hilft nur noch: einsperren.
Düsseldorf. Seine erste Straftat hat Halil (Name geändert) mit 16 begangen. Vermutlich, weil er gerade nichts Besseres mit sich anzufangen wusste. Seine alleinerziehende Mutter war völlig überfordert, Halil war zumeist sich selbst überlassen. „Er hatte keine Vorbilder“, sagt Wolfgang Wierich, Leiter des Jugendkommissariates. Nach einer Schlägerei flog er dann auch noch von der Schule. So begann der rasante Absturz des Jugendlichen.
Seine beachtliche kriminelle Laufbahn führte Halil „quer durch das Strafgesetzbuch“, sagt Wierich. Raub, Beleidigung, Widerstand, schwerer Diebstahl, Einbruch, Betrug. In nicht einmal zwei Jahren 51 Straftaten. Und das sind nur die, die von der Polizei aufgedeckt werden konnten. Vor Gericht sagte Halil selbst, er werde weitermachen — schließlich werde er bei 100 Taten bloß einmal erwischt. Und Arbeitsstunden juckten ihn nicht. Die leiste er eben ab und fertig. Anti-Aggressions-Trainings und andere Angebote scheiterten.
Schließlich entschied die Fallkonferenz aus Polizei und Justiz, die sich intensiv mit dem Fall des jungen Mannes befasste: Er muss vier Wochen in den Dauerarrest. Letzter Warnschuss. Eine nackte Zelle, kein Fernseher, keine Kumpels. Das machte Eindruck. „Danach war er zum ersten Mal bereit, über sich nachzudenken“, erinnert sich Wierich. Zumal Polizei und Staatsanwaltschaft alle seine offenen Verfahren inzwischen gebündelt hatten und er so — wegen der Vielzahl der Taten, die in einem Schwung verhandelt wurden — gleich eine Strafe von sechs Monaten Haft auf Bewährung bekam. Knastluft hatte Halil nun genug geschnuppert. Ein halbes Jahr hinter Gittern — für ihn eine Horrorvorstellung.
Der Familie wurde ein Betreuer von der Stadt zur Seite gestellt, Halil besucht inzwischen die Abendschule. Er ist jetzt 19 Jahre alt. Und hat seit über einem Jahr keine einzige Straftat mehr begangen. Auf seine Akte ist der Vermerk gedruckt: „Ruhend wegen positiver Entwicklung“. In der Statistik der Intensivtäter taucht Halil nicht mehr auf.
Den Partnern der Fallkonferenzen ist das bei zahlreichen jungen Intensivtätern (sie begehen mindestens fünf Straftaten in einem Jahr, darunter Gewalttaten) gelungen. Wie die Kriminalstatistik der Polizei in dieser Woche enthüllte, sank ihre Zahl von über 300 im Jahr 2005 auf aktuell noch 95. „Das hat es noch nie gegeben“, sagt Kommissariatsleiter Wierich. Ein historischer Tiefstand. Und ein Gewinn für Düsseldorfs Sicherheit. Denn: „Diese Täter legen einen großen Teil unserer Straftaten hin“, so Wierich.
Deshalb sei es andererseits auch wichtig, zu erkennen, wann man verloren hat. Wie im Fall des „Boss“ von Flingern. Der Intensivtäter beging seine ersten Straftaten mit zehn oder elf. War Dauergast auf der Wache. „Er war so klein, dass wir ihm auf den Stuhl helfen mussten“, erinnert sich Wierich. „Aber hat geklaut, was nicht niet- und nagelfest war.“
Irgendwann zwang er dann andere Jugendliche, für ihn einzubrechen, scharte eine Bande um sich, die er „Soldaten“ nannte. Im vergangenen Sommer wurde er gefasst, im Dezember zu vier Jahren Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt saß auch sein Nachfolger als Bandenchef schon in U-Haft. Fekret S. war gerade 14 geworden. „Bei dem Boss sind Hopfen und Malz verloren. Ich hoffe, dass der Jüngere im Knast eine Schulausbildung macht und noch mal auf die richtige Bahn kommt“, sagt Wierich.
Für den Ermittler sind dies die traurigen Fälle. Aber, so hofft er, womöglich haben die Festnahmen der Bandenchefs wenigstens Jungs aus dem Gefolge gewarnt, die den beiden sonst nachgeeifert und die gleiche Laufbahn eingeschlagen hätten. Und: „In Flingern ist es seither sehr viel ruhiger.“