Akademie-Galerie: Inge Mahn protestiert im Klassenzimmer
Die einstige Schülerin von Joseph Beuys zeigt ihre Gipsarbeiten, die sie einst auf der Documenta ausstellte.
Düsseldorf. Als Inge Mahn 1970 an der Düsseldorfer Kunstakademie ihr Kunsterzieher-Examen ablegte, diskutierten die Prüfer, ob ihre Abschlussarbeit Kunst sei. Sie hatte ein Klassenzimmer mit zehn Schulbänken und Schreibpulten gebaut und in den Flur der Akademie gestellt. In Reih und Glied gegenüber einem Lehrerkatheder. Die Skulptur war aus einer Holzkonstruktion und Gips geschaffen. Wer dort sitzen wollte, musste sich erst einmal kleinmachen. Die Beuys-Schülerin zog mit den Bänken den Habitus der Lehrer und ihre disziplinarischen Methoden durch den Kakao. Die Antwort, ob die Gipsarbeiten Kunst seien oder nicht, entschied der Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Er lud die Künstlerin mit dem Werk 1972 auf die Documenta. Heute steht die Arbeit in der Akademie-Galerie, als Höhepunkt einer Schau über die fast vergessene Bildhauerin.
Inge Mahn erzählt, wie sie selbst in so einer Schulbank gesessen habe: „Ich war ein großes Kind, und die kleine Bank hat mich sehr gequält. Ich war im ersten Schuljahr viel zu groß dafür.“ Für die ehemalige Beuys-Schülerin und spätere Professorin waren die Gips-Bänke ein Protest gegen veraltete Lehrmethoden.
Ihre Arbeiten sind aus reinem Weiß. Sie wählte die Farbe nicht, um etwas zu glorifizieren. Ganz im Gegenteil, sie sagt: „Gips ist weiß, und Gips ist billig.“ So baute sie 1973 eine Polizeikanzel, als Ordnungshüter noch an den Kreuzungen standen, die Abgase einatmeten und den Verkehr regelten. Sie baute ein so großes Schwalbennest, dass sie anfangs dort selbst unterkommen konnte. Immer ging es in ihren Arbeiten um soziale und formale Fragen. Eine ihrer schönsten Arbeiten ist ein Neonring in einer mit Kaschierleinen bedeckten Tasche. Heute würde man ein Laptop einstecken. Ihr geht es aber gar nicht um den Behälter, sondern um das gleißende Neonlicht. Steckt man den Reif in die Gipstasche, sieht man nur die Hälfte des Rings. Und der strahlt wie ein Heiligenschein.
Sie baute in den 1970er Jahren Hundehütten und Häuser, Wohnwagen und Badewannen, Vogelnester und „Paarplastiken“. Gleich im Eingang steht ein Turm. Wer will, kann ins Innere gehen und die Glocke läuten. An einer Wand hängen sieben Vogelkästen, jeder mit einem Loch und mit einer Klingel versehen. Wer will, kann sie bedienen. Es wird jedoch kein Vogel entweichen. Denn Inge Mahns Arbeiten sind still. Die Kritik kommt auf leisen Sohlen. „Ich denke bei den Vogelkästen an Reihenhäuser, an den eintönigen sozialen Wohnungsbau“, sagt sie.
Eine einzige Arbeit in der schönen Ausstellung hat Farbe. Es ist ein roter Sisalteppich, der durch den langen Flur der Akademiegalerie gerollt ist und über Gipsstufen und Heraklitpappen führt, um auf der gegenüber liegenden Wand zu enden. Jedermann, der die Ausstellung betritt, hat das Gefühl, nun müsse Ihre Majestät gleich kommen und über den Läufer schreiten.