Ballett am Rhein Ballettchef Sucheana: „Es bleiben wenig Reserven für etwas Anderes“
Wer beim preisgekrönten Ballett am Rhein tanzt, gibt alles — und verdrängt unschöne Gedanken an das frühe Karriereende. Remus Sucheana, Direktor des Ballett am Rhein, stand noch bis vor wenigen Monaten selbst auf der Bühne. Im Interview erzählt er, wie es um die berufliche (Neu-)Orientierung der Tänzer steht.
Düsseldorf. Das Leben vieler Profitänzer ist mit Mitte, Ende 30 vorbei. Vor allem das klassische Ballett verlangt dem Körper viel ab. Unvermittelt stellt sich die Frage nach einer beruflichen Neuorientierung, die am liebsten in der vertrauten Welt vorgenommen wird. Das Problem: Es gibt so gut wie keine freien Stellen als Ballettmeister, Repetitoren oder Direktionsassistenten, und noch seltener gelingt es, als Choreograf Erfolge zu feiern. Dennoch hatten die Tänzer Ann-Kathrin Adam, Rubén Cabaleiro Campo und Alban Pinot dies gerade nicht im Hinterkopf, als sie entschieden, neben der Ballettkarriere einen zweiten Beruf zu wählen (siehe unten).
Ihr Chef Remus Sucheana, Direktor des Ballett am Rhein, aber betont, das seien Ausnahmen. Sucheana ist 36 Jahre alt und hat noch bis vor wenigen Monaten selbst auf der Bühne gestanden.
Wie können sich Tänzer auf ihr Leben nach der Ballettkarriere vorbereiten. Bis zur Rente ist es mit Ende 30 ja noch eine Weile hin.
Remus Sucheana: Das ist nur schwer möglich. Dazu steht der Tanz zu sehr im Fokus, da ist keine Zeit für etwas Anderes.
Einigen Tänzern Ihrer Kompanie gelingt das aber schon.
Sucheana: Das sind Ausnahmen. Eigentlich will man nur tanzen. Ich kenne das von mir. Ich wollte Tänzer sein und sonst nichts. War neugierig auf die neuen Choreografien, habe die Biografien der Komponisten gelesen, zu deren Musik ich tanzte, und dann ist da natürlich noch das Training. Körper und Geist sind erschöpft. Nur die wenigsten haben noch Reserven für etwas Anderes.
In Ihrem Fall fing der Körper an zu streiken.
Sucheana: Ich habe gemerkt, dass ich nicht mehr so gut bin wie sonst. Nach einer Operation hatte ich zunehmend Schmerzen. Ich wusste, ich kann keine ganze Spielzeit mehr durchhalten, vielleicht eine Produktion, jedoch nicht mehr. Das war für mich der Moment, ans Aufhören zu denken. Darüber wollte ich mit Martin Schläpfer sprechen, als er mir das Angebot machte, die Funktion des Ballettdirektors zu übernehmen. Das war meine Chance.
Ganz schön gewagt, das hätte auch schief gehen können und Sie hätten zunächst keine berufliche Perspektive gehabt.
Sucheana: Mit dieser Ungewissheit müssen wir Tänzer leben. So lange es eben geht, verdrängen wir die Signale, die uns anzeigen, dass sich etwas verändert. Dass die Kraft nachlässt. Viele Tänzer beginnen zu unterrichten oder machen eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Allerdings ist es nicht einfach, mit 40 wieder zur Schule zu gehen. Die Berufsschüler sind ja deutlich jünger und haben sich geistig mit anderen Dingen befasst. Umgekehrt ist man als Tänzer aber gut gewappnet — wir lernen seit unserer Kindheit, seriös, strukturiert und diszipliniert zu leben und zu arbeiten. Das hilft.
Sollte ein Kompanie-Chef seine Tänzer nicht rechtzeitig auf den Neuanfang ansprechen?
Sucheana: Wann ist rechtzeitig? Mit 30 fangen Tänzer an zu blühen, und es kommt in Perfektion zum Vorschein, was sie jahrelang aufgesogen haben. Wann also soll ich einem Tänzer sagen: Mach’ dir Gedanken über deine Zukunft? Schlimmstenfalls geht das Ganze nach hinten los und der Angesprochene ist verunsichert und meint, er ist nicht mehr gut genug. Das kann fatale Folgen haben.
Die Tänzer sind jung, wenn sie in die Kompanien kommen. Sie haben jahrelang nur diese eine Welt gekannt und dafür alles gegeben. Haben Sie da nicht eine Verantwortung für ihr Wohlergehen, wenn ihnen die Puste ausgeht?
Sucheana: Eine Kompanie ist ein Schutzraum, ja. Aber irgendwann müssen die Tänzer für sich selbst die Verantwortung übernehmen.