Kunst Das Ei in der Kunst könnte abstürzen
Zwei Werke in den Düsseldorfer Museen zeigen, wie Künstler das Ei zum Symbol von Gefahr machen. Die Schale könnte allzu leicht brechen.
Düsseldorf. Bei Kindergeburtstagen war es früher ein beliebtes Spiel, die Kids mit einem rohen Ei auf einem Löffel bis zu einer Zielgerade laufen zu lassen. Mit ausgestrecktem Arm ging es los. Der Schnellste, der mitsamt dem Ei zum Ziel kam, hatte gewonnen. Das Geschicklichkeitsspiel zeigte aber auch, wie schnell das Ei herunterfallen und zerbrechen kann. Was für die Kinder ein lustiger Zeitvertreib ist, wirkt in der Kunst der Gegenwart eher wie ein Symbol für eine bedrohliche Zeit. Es ist reinweiß, nicht bunt, und es steht fast schon am Abgrund. Wir bringen zwei Beispiele aus hiesigen Kulturinstituten, die beweisen, wie Künstler das Ei im Zusammenhang mit dem Weltgeschehen sehen.
Das Museum Kunstpalast beherbergt ein Ölgemälde von Milan Kunc aus dem Jahr des Mauerfalls. Der deutsch-tschechische Künstler studierte an der Kunstakademie bei Joseph Beuys und Gerhard Richter. Als Ironiker fällt er durch einen subversiven Realismus auf. Straßenkunst, Comic und Pop-Elemente sind für seine Arbeiten typisch.
Auf seinem Bild rollt das Ei über die Autobahn, an den roten Grenzhäuschen vorbei, offensichtlich in eine schönere Zukunft, wie das Liedchen aus der Eierschale glauben lässt. Doch die Kunst des Milan Kunc ist doppeldeutig. Sein Ei wirkt kippelig, die Räder liegen nicht exakt auf dem Asphalt. Es könnte stürzen. „1989 war ein wichtiges Jahr für Europa. Das Ei ist auf dem Weg in eine fantastische Zukunft. Aber die Zukunft ist ungewiss“, sagt er im Telefongespräch aus Spanien. Für ihn, den Globetrotter, der nach 35 Jahren in Deutschland heute vorwiegend im Ausland lebt, hat die Weltgeschichte nichts mit einem bunten Osterei zu tun. Ein Ei hat mehr Bruchstellen, als ihm als Künstler lieb sein könne.
Künstler nehmen die Symbolik des Eis als Fruchtbarkeitssymbol nicht ungefragt hin. Das gilt auch für Inge Mahn, die wie Kunc in Prag geboren wurde und bei Joseph Beuys studiert hat. Sie liebt die verändernden Eingriffe in die Realität. So zeigt sie aktuell in K 21 einen Künstlerraum mit einem weißen, runden Ei. Das Komplizierte liegt darin, die gipserne Form so zwischen zwei Drähten auszubalancieren, dass das Rund ein ganzes Jahr lang unter der Decke schwebt und nicht abstürzt. Ein Ei des Kolumbus, das zerschlägt, wäre nicht in ihrem Sinne. Die Bedrohung, dass das gipserne Etwas kippen könnte, bleibt als latente Gefahr während der gesamten Dauer der Präsentation im ehemaligen Ständehaus bestehen. Die Balance in der Kunst wie in der Politik ist ganz leicht und doch ganz schwer, Inge Mahns Ei beweist es.
Es gibt aber auch das „Ei des Kolumbus“. Da gilt das Zerbrechen der Schale eher als Sinnbild für eine verblüffend einfache Lösung. Dem Seefahrer Christoph Kolumbus wird nach seiner Rückkehr aus Amerika während eines Essens bei Kardinal Mendoza 1493 vorgehalten, jeder hätte schließlich die „Neue Welt“ entdecken können. Daraufhin verlangt Kolumbus von den anwesenden Personen, ein gekochtes Ei auf die Spitze zu stellen. Niemand schafft es. Nun schlägt er sein Ei auf den Tisch und es bleibt stehen. Als die Anwesenden protestieren, dass sie das auch gekonnt hätten, antwortete Kolumbus: „Der Unterschied ist, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“
So einfach wie der Seefahrer Kolumbus geht es den Künstlern nicht. René Magritte etwa hat sich in einem Gemälde ein Ei auf den Tisch gelegt, eine Staffelei vor seinen Stuhl gestellt, aber auf der Leinwand kein Ei, sondern einen Vogel gemalt. Das Bild hängt in Frankfurt und nicht in Düsseldorf. Es ist ein Beweis für die Denke von Künstlern, die die Gegebenheiten niemals so nehmen wie sie sind.
Wer zu Ostern ein gekochtes Ei isst, wird möglicherweise an den Dialog zwischen dem maulenden Hermann und seiner Frau Berta bei Loriot denken. Hermann wollte partout kein hartes Ei essen. Mögen doch im Ei alle Informationen für die Ausbildung des Organismus gespeichert sein, Loriots Hermann interessierte sich lediglich für das Weichei und nörgelte über Bertas Hartei. Dabei kalauert er ein bisschen über die Gebräuche der Normalbürger.
Unabhängig von den Künstlern der Gegenwart ist und bleibt ein Ei natürlich ein uraltes Symbol, das lange vor Beginn des Christentums als Ursprung des Menschen oder gar des Universums betrachtet wurde. Die Urchristen übernahmen das Symbol als Sinnbild des Lebens und der Auferstehung. In der alten Kirche schenkte man sich am Ostermorgen hartgekochte und damit haltbare Eier. Das harte, kalte Ei symbolisierte das durch einen Stein verschlossene Grab Jesu.
Das Ei hat also viele Bedeutungen, die Künstler aber „betten“ es in eine Gegenwart, die voller Probleme, Spannungen, Kriegsdrohungen ist. Da könnte eine Schale schnell brechen.