Kultur Die Eingeschlossenen im DDR-Stasi-System

Düsseldorf · Kuratoren aus dem Malkasten stellen unter dem Titel „Geheime Agenten“ spannendes Material aus den MFS-Akten ins Netz.

Arwed Messmer zeigt Volkspolizisten, deren Gesichtszüge unkenntlich gemacht wurden.

Foto: ja/Katja Stuke

Nicht nur der chinesische Staat überwacht sein Milliarden-Volk, sondern generell werden Überwachung und Bildaufzeichnung fast schon zur Selbstverständlichkeit. Prompt greifen Fotokünstler das Thema auf und enthüllen oder ironisieren die Taktiken von Detektiven, Polizei und Missetätern. „Geheime Agenten“ heißt eine Schau im Jacobihaus des Malkastens, die wegen der Coronaviren im Netz steht.

Wer den Link aufruft, stößt zunächst auf den Kurzfilm „Radfahrer“. Der Titelheld taucht allerdings nirgendwo auf, denn es handelt sich um den Decknamen der Stasi, die den Fotografen Harald Hauswald bis ins Kleinste seit 1983 bis zum Zusammenbruch der DDR bespitzelte. Marc Thümmler hat sich die MFS-Akte XV/2348/83 der Staatssicherheit vorgenommen und verschränkt nun die graue Traurigkeit der Ostberliner Aufnahmen des Fotografen mit einer Tonspur, in der Auszüge aus den Stasi-Akten wie Aufrufe aus dem Weltall zu hören sind.

Ein Informant des Überwachungsdienstes kontrolliert den jungen Familienvater auf Schritt und Tritt, beim Kauf der Brötchen und beim Abholen der Tochter aus dem Kindergarten, aber er kommentiert zugleich die Fotos. Das Interessante am Film liegt darin, dass Ton- und Bildspur nicht deckungsgleich sind. Beim Hören und Betrachten des Films kann sich jedermann seinen Reim aus den Worten der Stasi machen. Zu sehen sind triste Straßen, spielende Kinder in Ruinen und arme Alte beim Inspizieren eines Abfalleimers. Wir erfahren viele Einzelheiten über die sozialistische Realität der DDR, wie sie die Machthaber im Polizeistaat nicht sehen wollten. Marc Thümmler wurde bei seinen Recherchen vom Studiengang Europäische Medienwissenschaften an der Universität und der FH Potsdam unterstützt.

Da es wenig Sinn macht, die Ausstellung mit der Kamera abzufahren, fügen die Kuratoren Katja Stuke, Oliver Sieber und Sabine Maria Schmidt einen virtuellen „Handapparat“ in einer Projekt-Website hinzu, um das Thema auf eine breite Basis zu stellen. So verweist Hito Steyerl in einem satirischen Film darauf hin, wie man trotz digitaler Technologie unauffällig bleiben kann. Christoph Faulhaber gründet einen fiktiven Sicherheitsdienst „Mister Security“, um seinerseits die Sicherheit des öffentlichen Raums zu überwachen. Wie wirkungsvoll er arbeitete, bekam er am eigenen Leib zu spüren. Das FBI entzog ihm das Stipendium, das er für New York in der Tasche hatte.

Auch das Bundeskriminalamt gibt den Künstlern genügend Material an die Hand, seit es in den frühen 1970er Jahren die erste computergesteuerte Datenbank errichtete, um die Bürger möglichst nach Abweichungs- und Ausschlusskriterien zu erfassen. Das Vorgehen erweist sich aus heutiger Sicht als recht bescheiden. Die deutsche Sicherheitsbehörden dürfen zwar vorerst keine Systeme zur automatischen Gesichtserkennung einsetzen, doch der Bestand an Fotos in der zentralen Polizeidatenbank wächst ständig. Die Kuratorin Katja Stuke fand heraus, dass aktuell mehr als 5,8 Millionen Gesichtsbilder verfügbar sind.

Der Berliner Fotograf Arwed Messmer, Teilnehmer in der Ausstellung im Jacobihaus des Malkastens, beschäftigt sich mit der jüngeren deutschen Geschichte. Für seine Bilder zum Bau und Fall der deutsch-deutschen Grenze stützt er sich auf Materialien aus dem DDR-Staatsarchiv, das inzwischen in das Bundesarchiv integriert worden ist. In unzähligen Fotos mit Leitern verweist er auf vergebliche Hoffnungsträger der Eingeschlossenen, um die Mauer zu überwinden. Es geht um Fluchtwege, Tunnelgänge,Todesstreifen. Volkspolizisten werden gezeigt, wie sie in Reih und Glied von den Machthabern der DDR abgelichtet wurden. Um die Todesschützen nicht zu desavouieren, hat Messmer ihre Gesichtszüge unkenntlich gemacht. Die Fotos wirken dadurch noch erschreckender.