Junges Schauspielhaus Auf der Suche nach der deutschen Seele

Düsseldorf · Aufführung der Bürgerbühne im Jungen Schauspielhaus: „Deutschland — ein Wintermärchen“ frei nach Heinrich Heine. Der „transkulturelle Roadtrip durch die neue Heimat“ wurde gefeiert.

Deutschland. Ein Wintermärchen. Auf dem Bild zu sehen (von links): Rami Lazkani, Atena Bijad, Nawar Khadra, Ava Azadeh, Altan Ali Yilmaz, Prudence Mvemba Tsomo, Višnja Malešić, Mortaza Husseini, Ulrich Linberg, Amy Tawfik Frega.  Foto: David Baltzer

Foto: David Baltzer

Sie sind in Deutschland angekommen. Menschen verschiedenen Alters. Aus Syrien, Iran, Afghanistan, dem Kongo etc. Sie treten, wie eine kleine Fußballmannschaft, auf ein Treppchen, die deutsche Hymne dudelt, einer von ihnen traut sich die Bekenner-Geste, legt seine Hand aufs Herz. Eine der Laiendarsteller(innen) telefoniert hektisch indes mit der Mama zu Hause – „Hallo Mama, ich bin glücklich“ und erzählt ihr von der „Heinrich-Heine-Show“, mit der sie und ihre Mitspieler zu einer Gastspielreise nach Hamburg fahren. Per Bus, mit dem Fahrer Hartmut, im Nebenberuf Saxophonist.

Eine bunte Truppe, die plappert, Rapmusik macht und nach der deutschen Seele sucht, führt die ‚Bürgerbühne’ in ihrem neuen Projekt-Stück „Deutschland ein Wintermärchen“ vor. Benannt nach dem gleichnamigen Versepos, in dem Heinrich Heine seine Reise 1843 aus dem Pariser Exil nach Hamburg beschreibt, seine zwiespältigen Gefühle beim Hören der ersten deutschen Worte, bei vertrauten Gerüchen etc. Dort will er noch einmal sein ‚Mütterlein’ besuchen, die in dem Gedicht immer wieder zu Worte kommt. Ein ungewöhnlicher „transkultureller Roadtrip“ durch die neue Heimat, der bei seiner Uraufführung am Montag im Jungen Schauspielhaus begeistert gefeiert wurde.

Wen wundert’s, dass die Regisseure Bianca Künzel und Alexander Steindorf (vom „projekt.il“) dieses satirische „Wintermärchen“ zum Anlass nehmen, um Gedanken des vor der Zensur ins republikanische Frankreich geflohenen Poeten Heine mit denen von heutigen Migranten in Düsseldorf zu verbinden. Mit munter satirischen, temperamentvollen, aber auch nachdenklichen Spielszenen, Liedern und novembrigen Erinnerungs-Splittern, an alte und neue Heimat. Das alles geschickt verpackt in eine Busfahrt. Bejubelt wurde die Uraufführung des 75-Minuten-Parforceritts durch das Heine-Deutschland vor 175 Jahren und dem heutigen Sehnsuchts-Ort von Menschen, die vor mörderischem Krieg, Terror und Elend geflohen sind.

Zerrissen zwischen Erinnerungen und Wohlfühlen

Die neun Beteiligten haben zwar keinen Grund, das Volkslied anzustimmen „Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön“. Genauso wenig wie sie das geflügelte Heine-Wort „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“ (aus Heines „Nachtgedenken“) als Vorwurf formulieren würden. Im Gegenteil: Sie sind eher zerrissen zwischen wehmütigen Erinnerungen an ihre Freunde und Familien zu Hause und dem behutsamen Wohlfühlen in dem für sie so sicheren Deutschland, in dem es im November ja immer nass sein soll. Ist es ja auch, nur eben nicht in diesem Ausnahme-Jahr, diesem scheinbar ewig dauernden Sommers.

Trotz des (normalerweise) schlechten November-Wetters habe sie einen Job oder Ausbildungs- oder Studienplatz gefunden, sprechen und singen mittlerweile Deutsch, wenn auch einige von ihnen noch mit einem starken Orient-Akzent. Da sie aber diese sprachlichen Kratzer in der am Ende bejubelten Inszenierung selbstironisch auf die Schippe nehmen, habe sie in diesen Passagen schnell das Schmunzeln und die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite.

Die Deutschen sind so
kompliziert wie ihre Sprache

Was wären die Deutschen, wenn sie ein Instrument wären? Die Antwort: Ein Fagott. Klar und deutlich sind sie. Langweilig? Nicht immer. Sie sind so kompliziert wie ihre Sprache, meint der nächste. „Und sie müssen Ausländer gut finden, sonst gelten sie als Nazis.“ Klischees treiben sie spielerisch und liebevoll auf die Spitze, resümieren auch heikle Beobachtungen, wie auch den Merkel-Satz „Wir schaffen das!“ Zeigen aber auch Verständnis für das Wort einiger Chemnitzer „Deutschland für Deutsche“. Ist doch normal, sagt einer. Das sind Menschen, die ihren Kindern die Heimat bewahren wollen. „Eine Welt für alle“ – das sei doch die Ausnahme. Die Zerrissenheit zwischen Vorsicht und Liebe zu Deutschland, die sie mit Heines zwiespältigen Gefühlen zu Deutschland verbindet, gipfelt immer wieder in der Suche nach der „Deutschen Seele“. Hin- und her pendeln sie, ähnlich wie der „Wintermärchen“-Poet, zwischen Liebe und Leid, Sympathie und Leid – sei es auch nur bei Fragen nach der richtigen Küche. Ob sie deutsch fühlen? Die Frage bleibt am Ende offen.