Ausstellung Künstler wagen Grenzgänge zwischen Mensch und Maschine
Düsseldorf · Die Ausstellung „Körperwende“ im NRW-Forum präsentiert singende Roboter, stehlende Hände und eine brabbelnde Katze.
1964 gab es einen kleinen Unfall auf der Madison Avenue in Manhattan. Mit ruckeligen Bewegungen überquerte der „Robot K-456“ einen Fußgängerstreifen und wurde dabei von einem Auto angefahren. Zeugen gab es viele. Die Aktion war angekündigt. Ferngesteuert von seinem Schöpfer wurde der Robot zum ersten androiden Performancekünstler des 20. Jahrhunderts. „Robot Opera“ nannte Nam June Paik die Spaziergänge seines wandelnden Aluminiumgestells. Paik, Fluxus-Künstler und Pionier der Videokunst, hatte das androgyne Geschöpf zusammen mit dem Japaner Shuya Abe entwickelt. Mit der Technik haperte es zwar noch, aber beide hatten Humor. Bis heute gilt der Robot von Abe/Paik als Meilenstein kybernetischer Kunst. Daher kann er nur noch selten ausgestellt werden – eine frühe Videodokumentation muss genügen.
Im Zentrum steht eh ein zeitgenössisches Roboter-Exemplar. Das stammt von dem aktuell berühmtesten Androiden-Forscher Hiroshi Ishiguro aus Japan; ein Popstar der Szene. „The Alter 3“, so der Name für sein Ebenbild, ist in der Lage, zu singen und eine ganze Symphonie zu dirigieren. Jüngst hatte „The Alter 3“ einen Auftritt im Museum Kunstpalast bei „Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival.“ Wer das Konzert verpasst hat, kann sich den ungewöhnlichen High-Tech-Dirigenten nun noch in der kleinen Kabinett-Ausstellung mit dem rätselhaften Titel „Körperwende“ anschauen. Ohne Orchester und ohne Kontext läuft die Programmierung des Burschen, dessen Gesicht und Arme einem Wachsfigurenkabinett entstammen könnten, allerdings ziemlich leer. Offensichtlich schnell erschöpft, wird er zwischendurch auch abgeschaltet. Zwar wirken einige Gesten zart und zerbrechlich, fasziniert die fast menschliche Anatomie und Textur der Arme und Hände, doch zweifelt man an seiner musikalischen Durchsetzungsfähigkeit. Im Hintergrund laufen auch hier zum Beweis Videoaufnahmen eines Konzertes.
Technisch hapert es ja immer, davon handelt schon die Bibel; musste Gott noch ein Gegenstück aus der Rippe des Mannes herausschälen, um sein Weltensemble zu komplementieren. „Erst die Technik mache den Menschen zum Menschen“, sagt Ishiguro, „ansonsten wären wir ja Affen.“ Eine steile These, die viel über den japanischen Techno-Spiritualismus aussagt. Hatte das nicht bereits Stanley Kubrick so schön inszeniert in der berühmten Vormenschenszene aus „2001: Odyssee im Weltraum“. Vom martialischen Knochenwerkzeug zum Raumschiff reichte ein kurzer Filmschnitt. Die Idee, das menschliche Leben durch Implantate und elektronische Ausdehnungen des Körpers zu verbessern oder zu verlängern, ist schon uralt. Man denke an Golem, die eiserne Faust von Götz von Berlichingen oder Frankenstein. Der in Düsseldorf ansässige belgische Kurator Cis Bierincks weist zum Einstieg in seine Show auf einen lustig-makabren historischen Stummfilm hin. In „The Thieving Hand“ von J. Stuart Blackton von 1908 erhält ein einarmiger Straßendieb in einem Ladengeschäft eine ungewöhnliche Prothese. Doch der magische Arm ist nicht zu steuern, klaut wie ein Rabe und macht sich selbstständig. In einer anderen Videoarbeit von Oscar Santillan „Phantom-Cast“ wird eine Performance gezeigt, die der neurologischen Erfahrung von Phantomempfindungen nach Amputationen nachspürt. Dabei versucht eine Gruppe von Performern ein Phantombein zu erspüren und in eine Kiste zu packen. Humor gibt es jetzt nicht mehr.
Die Kybernetik ist die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, Organismen und sozialen Organisationen. Schade, dass das interessant aufgebaute Thema in der kleinen Ausstellung dennoch am Ende verschenkt erscheint. Abgesehen von einem kurzen Wandtext erfährt man rein gar nichts über die Gedankensprünge des Kurators, die Künstler oder den Kontext der Arbeiten. In ihrer Zusammenstellung und in ihren Dialogen fallen einige Beiträge ästhetisch und qualitativ auch ziemlich verschroben aus. Ivana Basics fragile Skulptur eines invaliden Körperfragments steht der durchkolorierten, futuristischen Cyborg-Büste von Nick Ervinck gegenüber; einem Meister des monumentalen 3-D-Prints und 3-D-Kitsches, mit dem er auch zunehmend den öffentlichen belgischen Raum bespielt. „Stopf Dir die Nase und versuche zu summen“ heißt eine VR-Arbeit von Martina Menegon. Hier darf man im Off schwebende nackte Miniaturfrauen stupsen oder greifen. Spätestens bei Pinar Yoldas Animationsfilm “Artificial Intelligence for Governance, the Kitty AI” vergeht einem die Lust. Eine künstliche Intelligenz hat in Form einer Katzen-Meme die Weltherrschaft übernommen. Trotz kluger Zitate von Medienphilosoph Vilém Flusser: Das endlose Gebrabbel der Cat-Computerstimme nervt nur noch abtötend, daher unbedingt ohne Kopfhörer anschauen. Oder Körperwende und ab nach draußen!
„Körperwende – Von Name June Paik bis Hiroshi Ishiguro“, bis 5.Mai im NRW-Forum. Mehr Infos im Netz unter: