Junges Schauspiel Düsseldorf Schimmelreiter als eine mobile Inszenierung
Düsseldorf · Das neue Stück des Jungen Schauspiels Düsseldorf orientiert sich nur sehr frei an Theodor Storms berühmter Novelle und prangert Umweltzerstörung an. Nun feierte die mobile Inszenierung Premiere.
Der Schimmelreiter reitet keinen Gaul. Das Pferd erscheint hier nur als eine aus Eis geschnitzte kleine Figur, die sehr sinnfällig im Laufe des Abends dahinschmilzt, wie die Polkappen, wenn weiter zu wenig gegen den Klimawandel getan wird.
„Was ist die Natur des Menschen? Was ist die Natur dem Menschen?“ – Elke, Verlobte und spätere Frau von Hauke Haien, dem Schimmelreiter, bringt es auf den Punkt. Nur dass sie hier nicht von einer Frau, sondern von einem Mann (Eduard Lind) gespielt wird. Und die Schauspielerin Eva Maria Schindele verkörpert den Schimmelreiter Hauke Haien. Nichts ist mehr sicher in unsicheren Zeiten, auch nicht die Rollenzuschreibungen.
Wobei die Figuren überhaupt zu benennen etwas schwierig ist. Denn in der neuen mobilen Produktion des Jungen Schauspiels sind beide Darsteller weniger Charaktere als Sprachrohre für bestimmte Ideen und Überzeugungen, die das Verhältnis von Mensch und Natur umkreisen.
Regisseurin und Autorin Juliane Kann hat Motive aus Theodor Storms berühmter Novelle verwendet, um ein ganz eigenes Stück zu kreieren, das gegen Umweltverschmutzung und für Nachhaltigkeit plädiert – und das sehr anspielungsreich und fantasievoll. Aberglaube und Realismus halten sich wie bei Storm die Waage.
Die beiden äußerst agilen Schauspieler sind als Weißclowns mit weißer Schminke, weißer Mütze und rotem Oberteil ein perfektes Duo, wie etwas verzerrte Spiegelbilder. Sie schmeißen sich im wahrsten Sinne des Wortes die Bälle zu, sammeln unermüdlich die blauen Plastikrequisiten, die auf der Bühne herumliegen, und geben sich selbst Regieanweisungen (etwa „Musik an“), wenn sie es spieltechnisch für sinnvoll erachten.
Auch verbal bieten sie sich einen beziehungsreichen Schlagabtausch, Eva Maria Schindele gibt als Hauke den rationaleren Part, Eduard Lind die etwas versponnene und verträumte Elke, die noch von Romantik und dem Verehrer auf dem weißen Schimmel träumt. Oder ist das im 21. Jahrhundert gar nicht mehr angesagt? Viele Fragen wirft das Stück auf. Nicht nur zum Thema Natur- und Umweltschutz, sinnvollem Recycling und grüner Energie, sondern auch zum Zusammenleben in der Zukunft ganz allgemein. Dabei spielen Theodor Storms Geschichte vom Schimmelreiter, ein Naturschützer des 19. Jahrhunderts, und seine Vision eines Deichbaus nur eine sehr untergeordnete Rolle. Zwischenzeitlich hat man sogar den Eindruck, die Story über den Deichgrafen sei gänzlich verlorengegangen in den schnellen Dialogen.
Es geht um Kreislaufwirtschaft, steigende Meeresspiegel, „Concept ownership“, dann wieder um Kunst aus Plastik, um Politiker, die nicht handeln, und um Menschen, die den Mount Everest besteigen, nur um sich selbst in Relation zu setzen. Da fehlt einem manchmal der rote Faden, der das Ganze zusammenhält. Erst am Ende wird die Geschichte dann etwas pflichtschuldig doch noch schnell zu Ende erzählt: Der Deichgraf stürzt sich in die Fluten, aber er kehrt als Geist bei Sturm auf seinem Schimmel wieder.
Das Bühnenbild (Marie Gimpel) entstand komplett aus gesammeltem Kunststoffteilen, Verpackungsmüll und Plastikschrott, was dem Geist der Nachhaltigkeit der Produktion entspricht. Ein Wall aus Joghurtbechern, Plastikboxen und Stühlen begrenzt die Spielfläche. Die Büchse der Pandora ist hier eine blaue Tupperdose, der ein markerschütternder Schrei entweicht, sobald man sie öffnet – eine der vielen witzigen Ideen der Inszenierung.
Zwei alte Fahrräder treiben Ventilatoren an. Mal verteilen sie schön den Nebel aus der Nebelmaschine, mal lässt ihr Windhauch Geister (aus Plastikfolie) auferstehen, vor denen sich Elke fürchtet. Und wenn Hauke den Schimmel über den Deich reitet, besteigt er/sie den Drahtesel und strampelt.
Doch was kann der Mensch tun zum Schutz der Erde und der Menschen? Deiche sind dabei nur ein Mittel der Wahl. „Windräder bauen, die länger als 30 Jahre halten“, oder „Monoplastik verwenden, das man gut recyceln kann“, sagt Hauke. Das wäre im Sinn des Schimmelreiters heute sinnvoll, heißt es im Schlussteil, der etwas belehrend gerät.
„Unsere Welt vom Ende her denken“, nennt sich das Stück im Untertitel. Das heißt auch, dass man sich jetzt eine andere Welt vorstellen kann und muss: „Eine Vision muss her!“ Jeder einzelne trägt die Verantwortung dafür. Das Stück gibt seinen (jungen und alten) Zuschauern vieles mit auf den Weg, überfordert sie sicher auch manchmal und appelliert spielerisch gegen die Begrenzungen, die Deiche, im Kopf. Denn, um mit Hauke zu sprechen: „Ich glaube, der Mensch ist nicht ausschließlich schlecht.“