Klavierspiel zwischen Furor und Feinsinn

Nikolai Tokarev und das BBC Symphony Orchestra bescherten einen großen Abend.

Düsseldorf. Der russische Pianist Nikolai Tokarev ist weltweit gefragt. Trotzdem tritt der 28-Jährige nicht im klassischen Frack auf, sondern im extravaganten Hemd mit ausgefallenem Kragen. Die optische Außenwirkung passt zum Klavierspiel, das jugendlich dynamisch daherkommt. Mit dem großartigen BBC Orchestra unter Leitung seines Chefdirigenten Jiri Belohlávek gastierte Tokarev am Dienstagabend in der Tonhalle.

Den technisch anspruchsvollen Solopart von Franz Liszts 2. Klavierkonzert A-Dur bewältigt Tokarev souverän und beherrscht dabei nicht nur die virtuosen Girlanden, Triller, Oktavpassagen und Akkord-Kaskaden, sondern auch die klanglichen Herausforderungen. Viele können Schweres von Liszt herunterdonnern, aber Tokarev gehört zu den wenigen Pianisten, die Kontraste zwischen Lyrischem und Dramatischem spannungsvoll in Szene setzen. Er wirkt dabei wie eine Mischung aus kraftvollem Sportler und sorgfältig operierendem Chirurgen. Das Ergebnis ist eine fesselnde Interpretation zwischen Furor und Feinsinn.

Das Orchester der BBC begleitet Tokarev mit jenem ausgeprägten Teamgeist, der für britische Ensembles charakteristisch ist. Es reagiert flexibel auf den Solisten und ermöglicht ihm damit gestalterische Bewegungsfreiheit. Das Londoner Rundfunkorchester tritt aber keinesfalls so weit zurück, dass es neben dem Solisten verblassen würde. Vielmehr entsteht ein markantes Miteinander. Für den starken Beifall bedankte sich Tokarev mit der Mazurka a-Moll op. 17,4 des 22-jährigen Frédéric Chopin.

Seinen großen Soloauftritt hat das Orchester mit Dimitri Schostakowitschs 15. und letzter Symphonie, ein Werk zwischen ironischer Heiterkeit und Melancholie, Lebensfreude und Abschiedsstimmung. Zum Schluss erteilt Schostakowitsch den zahlreich vertretenen Schlaginstrumenten das Wort — eine Totentanz-Instrumentierung, wie einige Schostakowitsch-Forscher annehmen. Die Briten gestalten das bizarre wie klangschöne Opus mit großer Empathie. Es scheint, als würden sich die englischen Musiker tief in die russische Seele einfühlen. Unterdessen musiziert man spieltechnisch brillant, und es tut auch einem schroffen Werk gut, wenn selbst seine dissonantesten Stellen noch kultiviert klingen und nicht unfreiwillig verschärft werden.