Konzert: Aus der Gosse zu den Sternen
The Gutter Twins präsentieren sich musikalisch nackt im Savoy-Theater. Es ist ein Auftritt von zerbrechlicher Schönheit.
Düsseldorf. Nackt seien The Gutter Twins bei dieser Tour, hieß es in der Ankündigung. Gemeint war, dass sich die beiden Sänger von ihren Ursprüngen in der Grunge-Szene kurzzeitig völlig verabschieden und nur mit zwei Akustik-Gitarren und einem Keyboard die Bühne betreten. Musiker und Zuschauer sitzen im halb gefüllten Savoy-Theater, eine insgesamt sehr ruhige Atmosphäre. Aber die Herren Lanegan und Dulli sind ja auch schon Mitte 40.
Aller Zweifel an diesem Konzept endet, als Mark Lanegans Stimme erstmals alleine und deutlich zu hören ist - beim zweiten Song, "The Stations" vom Gutter-Twins-Album "Saturnalia". Lanegans Organ ist nicht weniger als ein Naturwunder, gerade weil es klingt, als singe er durch ein meterlanges Abwasserrohr. Er ist der junge Tom Waits: vielfältig, präzise, ein bisschen kaputt.
Die Songs, die immer dann am meisten überzeugen, wenn Lanegan der dominante Part ist, sind wie ein starker Windstoß: heftig spürbar, aber nicht zu fassen. Lanegan steigert sich in seine Lieder hinein, versucht Momente vollkommener Schönheit festzuhalten, nur um sie wieder zerbrechen lassen zu müssen. Greg Dulli unterstützt ihn mit der passenden Atmosphäre durch Gitarre, Keyboard und Gesang: Zwei große Egos im Dienste der Musik.
Als der Tour-Gitarrist, dritter Mann auf der Bühne, bei "Resurrection" Probleme mit der Technik hat, abbrechen muss und den Song wenig später wieder aufnehmen will, greift ihm Lanegan fast zärtlich in den Arm. Vielleicht bekommen sie einen anderen Moment zu fassen. Diese Chance ist vertan.
Oft handeln die Songs der Künstler von der Natur, ihrer Unstetigkeit, der Tatsache, "dass so viel Schönheit an mich verschwendet wird", wie Lanegan in "Sunrise" singt, einem weiteren Höhepunkt dieses Mittwochabends. Und sie handeln von der Zerbrechlichkeit des Menschen, höheren Mächten, der Suche nach Halt und Sinn trotz innerer Dämonen.
Das Konzert ist ein Ritt durch das künstlerische Schaffen der beiden, ergänzt durch Cover etwa von José Gonzales ("Down the Line"). Nick Drakes "Three Hours" beschließt in einer sehr kraftvollen Version den Abend. Leider währte die Schönheit weniger als 90 Minuten. Zuvor hatten zwei mäßig talentierte Solo-Künstler den Abend bestritten.
Übersetzt bedeutet der Name des Duos "Zwillinge der Gosse". Das Motiv haben sich die beiden Sänger bei Oscar Wilde geliehen: "Wir sind alle in der Gosse, aber einige von uns blicken zu den Sternen."