Kunstsammlung wendet sich von klassischen Ausstellungen ab
Marion Ackermann, die Direktorin der Kunstsammlung, spricht über ihre neuen Ausstellungsideen.
Düsseldorf. Die Kunstsammlung gilt mit einem Etat aus Landesmitteln von über zehn Millionen Euro als gut dotiertes Haus. 3,5 Millionen Euro, die für Ausstellungen und die Bildungsangebote ausgegeben werden können, erwirtschaftet die Kunstsammlung selbst. Ein Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Marion Ackermann.
Frau Ackermann, seit Ihrer Ausstellung „Move“ gibt es bei Ihnen auch körperliche Künste. Sobald die Treibhaushitze in der Glaskuppel von K 21 abgeklungen ist und die schlaffe Kunststoffkugel ausgetauscht, dürfen die Besucher wieder die Netzinstallation von Tomás Saraceno benutzen. Was wollen Sie damit erreichen?
Ackermann: Künstler und Besucher sollen stärker auf die Räume reagieren. Das geht nicht, wenn die Ausstellungen klassisch und statisch sind. Ich beabsichtige, dass eine Dynamik der Werke auf die Körper der Besucher wirkt. Also: Wie verhält sich der Mensch zum Werk.
Wie bringen Sie unbeteiligte Kunstgänger dazu?
Ackermann: Der Kunstbesuch darf nicht nur abgehakt werden. Ich möchte den Gast des Hauses unbekannten Erfahrungen aussetzen. Beim Besteigen des Netzes von Saraceno verliert der Besucher sprichwörtlich den Boden unter den Füßen. Er erfährt eine Bewusstseinsveränderung, die eine „Pause“ in das normale Leben bringt. Trotzdem arbeitet Saraceno bei seiner imposanten Installation unter der Kuppel mit dem klassischen Prinzip künstlerischer Schönheit, was allein schon den Besuch im K21 zu einem Erlebnis macht.
Kunst also als Erlebnis?
Ackermann: Es gibt nicht nur ein Gedächtnis für Worte und Bilder, sondern auch ein körperliches Gedächtnis. Ich möchte Situationen schaffen, in denen der Mensch wieder wie ein Kind ist. Kandinsky meinte, dem Kind werde alles zum Erlebnis. Wenn das Kind erstmals die heiße Herdplatte berührt, weiß es sein Leben lang, was Hitze bedeutet, weil es geschmerzt hat. Künstler müssen die Menschen aus dem Zustand der Entzauberung herausreißen.
Steuern Sie aber nicht auch die Event-Kultur an?
Ackermann: Joseph Beuys hat seine erste Ausstellung wie einen „Hindernisparcours“ inszeniert. Diesen Gedanken habe ich aufgenommen und auch unsere Ausstellung so choreographiert, dass der Besucher um die Arbeiten herumgehen konnte. Für die Sammlung habe ich gleichfalls eine Choreographie konzipiert, bei der die Besucher direkt vor unsere Bilder von Bonnard oder Kandinsky geführt werden. Das hat nichts mit Events zu tun. Man muss den Menschen mit all seinen Sinnen in ein Verhältnis zur Kunst setzen.
Und wenn die Ausstellung von Saraceno zur Hüpfburg wird?
Ackermann: Das ist ganz und gar nicht unsere Absicht. Aber wenn der Verdacht kommen sollte, es sei nur eine Hüpfburg oder eine Event-Geschichte, sollte man in Saracenos Spinnenraum im K21 gehen. Der Künstler erforscht seit langem diverse Spinnenarten, um ihr Sozialverhalten und ihre Bauweise als Vorbild für seine Projekte zu nehmen.
Welche Rolle spielt die Ausstellungsarchitektur?
Ackermann: Sie ist ganz wichtig. Das Rijksmuseum in Amsterdam beispielsweise zeigt nach der Wiedereröffnung alle Sparten der Sammlung in einem Rundgang. Dabei steht in der Mitte eines Saales das Modell eines Segelfrachters, an den Wänden hängen Gemälde aus der „Goldenen Zeit“. Diese Art der Museumspräsentation ist freier als eine herkömmliche Hängeweise.
Sie haben im K21 viel Videokunst. Zwingt die Black Box die Leute in einen fast geschlossenen Kinokasten?
Ackermann: Nein. In der Reihe „Big Picture“ mit Film- und Videoinstallationen unserer Kuratorin Doris Kristof bewegen sich die Zuschauer durch ein offenes Raumsystem. Sie können die Bildschirme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Sie spielen keine passive Rolle, sondern verhalten sich aktiv.
Wie aktiv darf der Besucher in der Calder-Ausstellung ab September sein?
Ackermann: Erstmals untersuchen wir Calders Werk im Zusammenhang von Klang und Bewegung. Anlass ist die Tatsache, dass das Land uns 2008 ein 1936 entstandenes Werk als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat, das eine von Calders ersten Klangskulpturen darstellt. Dies hat mir erst der Enkel in der Calder-Foundation in New York erzählt.
Man könne, sagte er, die an einem feinen Draht hängende Kugel in Schwingung versetzen. Calder wollte, dass ein Luftzug diese Kugel bewegt und die Skulptur zum Tönen bringt. Mich interessiert außer dem Klang auch das kinetische Moment. Wir tragen rund 50 dieser Klangskulpturen zusammen. Im Entstehungsjahr unserer Skulptur hat sich Calder mit der experimentellen Musik von Edgar Varèse auseinandergesetzt.
Darf der Besucher die Skulpturen zum Tönen bringen?
Ackermann: Das geht bei diesen fragilen bedeutsamen Werken auf keinen Fall. Wir planen eine große weiße Rampe im K20, damit die Besucher die Calder-Skulpturen aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Den Klang erfahren sie über einen Monitor oder dadurch, dass ein Restaurator die Kugeln in Bewegung setzt. In der hohen Grabbehalle werden auch große Skulpturen von Calder zu sehen sein.