Interview Düsseldorfer ESC-Experte tippt auf Italien

Düsseldorf · Am Donnerstag widmet sich Mayo Velvo in der Jazz-Schmiede dem ESC. Wir klönten mit ihm über das Phänomen „Eurovision-Song-Contest“.

Der Sänger und Entertainer Mayo Velvo widmet sich in der Jazz-Schmiede seiner Leidenschaft: dem ESC.

Foto: Rolf Hitzbleck

Herr Velvo, Sie waren Gründungsmitglied der Kabarettgruppe „Rosa Kitsch“, sind ausgebildeter Musiker und mit Soloprogrammen als Chansonnier und Entertainer unterwegs. Seit 2011 gehört „Velvo sings Eurovision“ (am 9. Mai erneut in der Jazzschmiede) fest zu ihrem Programm. Wie kam es zu der Idee, sich dem ESC auf der Bühne zu widmen? Waren Sie immer schon eingefleischter ESC-Fan?

Mayo Velvo: Ich habe mit elf Jahren meinen ersten Eurovision-Song-Contest gesehen und empfand das als sehr spannend. Ich konnte Lieder in anderen Sprachen hören, etwa auf Finnisch – damals gab es ja noch nicht das Internet. Dann wollte ich den Grand Prix d’Eurovision, wie er früher hieß, im nächsten Jahr wiedersehen und so ist die Faszination dafür geblieben und gewachsen, auch wenn ich mich damals nicht wirklich bewusst damit beschäftigt habe – es war mehr intuitiv.

Es verwundert, dass Sie so ein Programm mit ESC-Songs nicht schon früher versucht hatten, sondern erst 2011.

Velvo: Wir hatten in unserem Programm immer wieder das eine oder andere ESC-Lied – aber eigentlich konkretisierte sich die Idee erst, als der Song-Contest nach Düsseldorf kam. Es hätte nicht besser passen können.

Was erwartet das Publikum in Ihrer diesjährigen Show?

Velvo: Es ist in erster Linie ein Rückblick, aber ich spreche auch über die aktuellen ESCs und natürlich auch den diesjährigen. Der Fokus im ersten Teil liegt dieses Jahr auf Israel und dessen ESC-Geschichte. Wir haben diesmal auch einen Gastsänger dabei: André Eigen vom Vokalensemble Herrencreme. Da bietet es sich an, auch Duette und, da mein Pianist Thomas Möller auch singt, sogar dreistimmig zu intonieren.

Wie steht es in Ihren Augen um den ESC?

Velvo: Ich persönlich habe den Eindruck, dass der ESC unterdessen zu einer Art Spektakel-Show geworden ist. Es geht scheinbar darum, dass man irgendwelche Charts-Pop-Schablonen kopiert, um zu klingen wie etwa Justin Bieber oder Beyoncé. Der ESC war bis zu den 2000er Jahren eher eine kulturelle Blase, er hatte mit der wirklichen Welt, der wahren Pop- und Rockmusikwelt nicht ganz so viel zu tun. Aber in dieser Blase konnte man dafür wahre Stilblüten finden, die es sonst nirgendwo gab.

Es gibt aber auch heute noch positive Ausnahmen. Ein Lied, das Ihnen besonders am Herzen liegt, ist „Rise Like A Phoenix“ von Conchita, von dem Sie auch eine deutsche und französische Coverversion geschrieben und eingesungen haben.

Velvo: Das Lied ist schon deswegen besonders, da Conchita für eine außergewöhnliche Persönlichkeitsentwicklung steht, die auch zum ESC gehört. Natürlich ist auch das Lied an sich ganz wunderbar und gar nicht so einfach zu singen. Die ganze LGBT-Szene hat den ESC immer favorisiert. Warum soll ein Mann mit Bart nicht auch ein Kleid tragen können?

Welche ESC-Songs aus der Geschichte mögen Sie noch besonders?

Velvo: Es gibt eine Menge Favoriten, die wir auch in unser Programm aufgenommen haben. Eines meiner Lieblingslieder ist „Lane moje“ von Željko Joksimović aus dem Jahr 2004. Oder beispielsweise von 1962 Isabelle Aubrets „Un premier amour“, das wir schon früher mal im Programm hatten. Oder das dänische „Dansevise“ von 1963, das wir dieses Mal interpretieren.

Gibt es oder gab es einen typischen ESC-Sound?

Velvo: Genau kann man davon gar nicht sprechen. Es gibt Sparten. Die Balladensparte, die Comedysparte mit den Ulk-Songs oder Rocksongs. Manchmal sind diese sogar ganz lustig und grenzen sich schön ab. Am Bedauerlichsten ist aber, dass immer mehr auf Englisch gesungen wird.

Oft werden Songs mit eigentlich typischen Mustern heute anders verpackt. Harmonische oder melodische Strukturen bleiben im Hintergrund oft sehr typische ESC-Songs. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Velvo: Das ist genau das, was wir dann bei unseren Auftritten aus den oft etwas schrillen Verpackungen der Beiträge herausschälen. Wir arbeiten ja nur mit Klavier und Gesang.

Was halten Sie von dem diesjährigen S!sters-Song aus Deutschland?

Velvo: Der Song ist gar nicht so schlecht. Beim Vorentscheid war ich noch skeptisch, aber im Vergleich zu den anderen Beiträgen in diesem Jahr beim ESC ist das doch recht eigen. Die Präsentation ist vielleicht nicht ganz so gelungen, hoffentlich wird an den Outfits noch etwas verändert. Leider ist dieses Jahr ein Großteil der Beiträge aus meiner Sicht „Schrott“.

Möchte man sich vielleicht auch an Skurrilität überbieten? Ich sage nur das Stichwort Trickkleid.

Velvo: Das haben wir ja dieses Jahr auch wieder mit Australien (Kate Miller-Heidke, „Zero Gravity“). Stufenkleid, Operngesang, im Hintergrund jemand, der von einer Ecke in die andere schwingt – das hat alles drei noch nie funktioniert.

Was macht trotz alledem die Faszination vom ESC heute noch aus?

Velvo: Der polyglotte Liederreigen, wenngleich das fast verschwunden ist. Das Besondere ist, wenn Lieder auch etwas Eigenes aus einem Land in sich tragen. Die Balkanländer machen das noch teilweise oder generell Ostblockländer. Dieses „Kedvesem“ (ByeAlex, Ungarn, 2013) mochten wir alle sehr. Das war eine schöne Nummer – da dachte ich: so kann das doch gehen. Der italienische Beitrag (Mahmood, „Soldi“) dieses Jahr macht das besonders gut vor: Es ist auf Italienisch, es ist modern, denn da ist ein bisschen Hip-Hop drin, aber ohne, dass es der Versuch wäre, Hip-Hop aus der Bronx nachzumachen. Dieser Beitrag ist nicht nur mein persönlicher, sondern allgemein einer der Favoriten. Es wäre schön, wenn Italien dieses Mal gewönne.