Premiere im Düsseldorfer Schauspielhaus: Paul Niemand und der Turbokapitalismus
„Unter Eis“ zeigt die Blüten der Businesswelt im Kleinen Haus auf — mit Längen.
Düsseldorf. Paul Niemand ist schon mit Ende 40 ein Nobody. Verbraucht und ausgelaugt, zwischen Businesslounge und Bonusmeilen. Zumindest für gestriegelte Analysten und smarte McKinsey-Agenten scheint er das geeignete Opfer, um „outgesourct“ zu werden. Als Berater eines Konzerns rentiert er sich nicht mehr, bringt nicht mehr die Performance, hält den Druck kaum noch aus. Und gerät in die eisige Abwicklungs-Maschine des heutigen Turbokapitalismus, der sich gerne in neoliberalem Nebel versteckt. Um dessen Machenschaften geht es in dem Theaterstück von Falk Richter, das jetzt im Kleinen Haus erstmals zu sehen ist. In der Inszenierung des erst 35-jährigen Pedro Martins Beja, der Richters Monologe und Dialoge auf eine kreisende Drehscheibe am Fuße einer Hollywood-Treppe verlegt.
Richter (44), der bis zu diesem Sommer als Hausregisseur am Gustaf-Gründgens-Platz einige beachtliche Werke in Szene gesetzt hat, schrieb „Unter Eis“ bereits 2004. Trotz deutlicher Bezüge zu Düsseldorf wurde es an Richters damaligem Stammhaus (Berliner Schaubühne) uraufgeführt, danach häufig nachgespielt und ist erst jetzt, nach neun Jahren, an seinem „Bestimmungsort“ gelandet.
Schade, dass Falk Richter bei seiner witzigen, aber bösen und traurigen Kritik am Freien Markt nicht selber Regie führte. Doch Bejas pointierte Personenführung und moderne Deutung dürfte dem Autor gefallen. Seit 2004 haben sich Konkurrenzdenken und Profitgier, die Richter bis ins Groteske zuspitzt, noch weiter entwickelt. Sie treiben Blüten, selbst an Schulen, und haben damit die Jüngsten fest im Griff. Diese erschreckende Tendenz betont Beja. So lässt er Kinder in einem Versuch auftreten: Sie müssen immer höher springen, um Spielzeug-Geschenke zu ergattern, die von der Decke baumeln. Vergeblich. Nur einer ist clever, holt einen Stuhl und überlistet die Versuchsanordnung. Sofort wird der Neunjährige von neunmalklugen Unternehmensberatern engagiert und die breite Leuchttreppe hochgeführt. Um zu erleben, wie die Welt vom Unternehmensolymp her ausschaut.
Mühsamer wird es für die Zuschauer indes, wenn Paul Niemand und seine jüngeren Kollegen Karl Sonnenschein und Aurelius Glasenapp die Regeln und Unternehmensphilosophie in langen Monologen darlegen.
Zwar setzen Sven Walser (Niemand), Daniel Fries (Sonnenschein) und Jonas Anders (Glasenapp) enorm auf Sprech- und Lauftempo, karikieren nach allen Regeln der Kunst die Berater als joviale Schwätzer. Sie hecheln und zappeln, laufen treppauf treppab, geraten ins Schleudern, wenn sie hektisch über Wachstums-Diktat und Personal-Verschlankung reden. Absurde Effekte erzielen Fries und Anders, wenn sie sich zu sportlichen Höchstleistungen anstacheln, Squash, Para-Gliding, Bungee-Springen. Dass dabei häufig Schnee rieselt und die Welt vereist, bekommen sie nicht mit. Doch wenn der im System „überflüssige“ Niemand fast zehn Minuten lang (gefühlte 30) von Kindheits-Neurosen, den arktischen Alpträumen seines Vaters (er war Fluglotse) oder einer misslungenen Abfertigung an Flughafen-Schaltern berichtet, geht die Spannung flöten. In diesen ellenlangen Selbstgesprächen mutiert das sonst surreale Geschehen zu einem Hörspiel. Hier fehlt eine zündende Idee - an einem Abend, der besonders wegen schauspielerischer Leistungen von Walser, Fries und Anders zu empfehlen ist.