Premiere im Kleinen Haus Geschlechterrollen auf dem Prüfstand

Düsseldorf · In der Inszenierung des Romans „Orlando“ von Virginia Woolf geht es um Identität, Macht und Geschlechter. Eine Entdeckungsreise.

Nach mehr als vier Stunden intensiver Probenarbeit für „Orlando“ müssten Cennet Rüya Voß und Claudia Hübbecker eigentlich erschöpft sein. Sind sie auch, aber das blenden sie aus. Keine Zeit zum Ausruhen. Schon bald an diesem Tag geht es weiter für sie. Beide haben abends eine Vorstellung. Morgen auch. Und übermorgen wieder.

Tagsüber feilt das Ensemble mit Regisseur André Kaczmarczyk am Feinschliff der „Orlando“-Premiere, die um einige Tage verschoben werden musste und nun für Donnerstag, 24. Februar, geplant ist. Trotz dieses Mammutprogramms haben die Schauspielerinnen Lust, in der knappen Pause über ihre Rollen in der szenischen Umsetzung des Buches von Virginia Woolf zu sprechen.

„Die Inszenierung hat den Atem des Großen Hauses“ sagt Claudia Hübbecker, die als Virginia Woolf mitwirkt. „Ich habe auf der Bühne im Kleinen Haus noch nie so viel an Verwandlung erlebt. Der Regisseur weiß die vielfältigen Möglichkeiten dieser Bühne zu nutzen. André ist ein Theatermensch mit viel Wissen und Gefühl für sein Metier.“

Nicht zum ersten Mal arbeitet sie mit ihm als Regisseur zusammen. Für Cennet Rüya Voß war Kaczmar­czyk, der auch die Fassung und die Liedtexte für dieses Stück schrieb, bisher nur Kollege. „Bei seiner angenehmen Regieführung merke ich natürlich, dass er Schauspieler ist. Er sieht intuitiv und sehr schnell, wenn etwas nicht ganz stimmt“, erzählt sie. „Das hilft mir, an meiner Präzision zu arbeiten. Er hat aber auch ganz tolle Bilder gebaut.“

Sie spielt die Titelfigur, den gebildeten jungen Lord Orlando, der durch vier Jahrhunderte und die Geschlechter wandelt. Die Theaterfassung bleibt relativ nah an dem Roman von 1928. Darin thematisiert Virginia Woolf die Beziehung zu ihrer Geliebten, der Schriftstellerin Vita Sackville-West, und greift Fragen von Identität, Macht und Geschlechterrollen auf. „Orlando ist immer auf der Suche nach der Wahrheit“, erläutert Cennet Rüya Voß. „Die Frage ist nur, ob es diese Wahrheit überhaupt gibt oder ob der Versuch hoffnungslos ist und scheitern muss. Er schreibt und schreibt und will den Sinn des Lebens ergründen. So mag es auch Virginia Woolf ergangen sein.“

Nach tagelangem Schlaf erwacht Orlando als Lady und setzt die Suche im anderen Geschlecht fort, als Liebende, Dichterin und Mutter. „Die Verwandlung ist genau genommen eine Rückverwandlung“, sagt Cennet Rüya Voß. „Denn von vornherein ist ja erkennbar, dass ich körperlich eine Frau bin, auch wenn ich einen Mann spiele.“ Wie vollzieht sich dieser Sprung auf der Bühne? „Die Veränderung wird eine Art Tanz sein, sinnlich und ohne großes Erstaunen. Verdeutlicht wird sie allerdings erst durch die Reaktion der anderen Figuren. Und trotzdem muss ich lustvoll einsteigen, was sich auch in meinen Bewegungen zeigt.“ Hosenrollen sind Cennet Rüya Voß vertraut. Was also spielt sie lieber, einen Mann, eine Frau? Kurz überlegt sie. „Ich glaube, darauf kann ich keine klare Antwort geben. Es kommt auf die Dichte der Gedanken an, darauf, was die Person verhandeln kann und darf.“ Hübbecker pflichtet ihr bei: „Man sollte diese Trennung nicht denken und Menschen nur nach ihren Geschlechtern beurteilen.“ Sie zitiert Virginia Woolf: „Angesichts der Weite und Fülle dieser Welt genügen eigentlich schon zwei Geschlechter nicht. Wie könnten wir da mit einem einzigen auskommen?“ Der spielerische Umgang mit den Geschlechtern durchzieht die gesamte Inszenierung. Fast alle verkörpern Männer- wie Frauenrollen. Die Figur der Virginia Woolf wurde in „Orlando“ mit nahezu ständiger Bühnenpräsenz verankert. „André hat sie ersonnen, er war davon überzeugt, dass es ohne sie nicht geht“, berichtet Hübbecker. „Eine total spannende Aufgabe, sowohl für die Regie als auch für mich. Man kann die Schöpferin dieses unglaublichen Buches nicht außen vor lassen. Es ist offensichtlich, dass sie sich damit etwas von der Seele geschrieben hat. Der Stoff birgt viele Rätsel.“

Eingebunden wurde Virginia Woolf nicht etwa als Moderatorin, die durch die Szenen führt. So platt und eindeutig durfte es nicht sein. „Ihre Gedankenwelt sollte Platz finden, ähnlich wie im Roman, der etwas Getriebenes und Energetisches hat und nichts Tragisch-Depressiv-Gelähmtes“, sagt die Schauspielerin. „Es ist, als wäre Virginia Woolf mit dem Publikum verbunden, so wie die Schriftstellerin mit ihrer Leserschaft. Das wird eine Entdeckungsreise, schillernd und reich.“