Stimmen aus einer ferner Zeit

Ursula Krechel erhält den Literaturpreis der Sparkasse.

Düsseldorf. Am Anfang war eine Stimme vom Tonband: Der Buchhändler Ludwig Lazarus erzählt darin, wie es ihm als Flüchtling in Shanghai ergangen ist. 18 000 jüdische Emigranten suchten nach 1938, als viele Auswege schon versperrt waren, Zuflucht in der chinesischen Stadt, die damals von Japanern besetzt war. Von ihnen erzählt Ursula Krechel in ihrem faszinierenden Buch "Shanghai - fern von wo".

Ursula Krechel hat ein beeindruckendes Gesamtwerk vorzuweisen: Zwölf Gedichtbände hat sie veröffentlicht, Prosa, Theaterstücke und Hörspiele geschrieben. Sie wurde mit Preisen und Einladungen als Poetikdozentin geehrt. Aber der überwältigende Erfolg ihres neuen Buches hat sie selbst überrascht. Fast dreißig Jahre hat die Autorin recherchiert und die Schicksale der jüdischen Flüchtlinge in Shanghai mit sich herumgetragen.

Im vergangenen Jahr ist ihr dokumentarischer Roman "Shanghai fern von wo" (Verlag Jung und Jung, Salzburg) erschienen, seither regnet es Preise, u.a. der Joseph-Breitbach-Preis, der Deutsche Kritikerpreis, der Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz - und nun wird sie für das Buch und für ihr Gesamtwerk auch in Düsseldorf geehrt.

Der d.lit.Literaturpreis der Stadtsparkasse, dotiert mit 15000 Euro, wird an Autoren vergeben, die in ihrem Werk einen Bezug zu anderen Medien oder Künsten herstellen. Das ist bei Ursula Krechel doppelt der Fall: Zum einen, weil sie als Hörspielautorin fast wie ein Medium fremde Stimmen aufnimmt und verwandelt, zum anderen, weil eine der Hauptpersonen in ihrem Buch der Kunsthistoriker Lothar Briegel ist. Briegel ist wie Lazarus keine erfundene Figur, sondern einer der Menschen, die tatsächlich in Shanghai gelebt und gelitten haben, zuletzt in einem Ghetto, aus dem sie erst im August 1945 befreit wurden.

Selten wurde von der schrecklichen Zeit so anschaulich und zugleich literarisch so faszinierend berichtet. "Ursula Krechel hat die Stadt aus der Perspektive der Emigranten eigensinnig, einprägsam und auf eine erschütternd nüchterne Art emotional beschrieben." So urteilte die Jury, der u. a. Literaturkritiker Hubert Winkels und Michael Serrer, Leiter des Literaturbüros NRW, angehören, sowie Professor Joseph A. Kruse, bis heute Direktor des Heine-Instituts.

Er würdigt in seiner Laudatio auch die Lyrikerin Krechel und freut sich besonders, dass er in ihrem Buch auf Heinrich Heine gestoßen ist: Der Buchhändler Lazarus verkaufte Heine - an japanische Offiziere, die stolz rezitierten: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten"! Ursula Krechel liest am Dienstagabend aus "Shanghai fern von wo" im Heine-Geburtshaus, Bolkerstraße 53, Beginn 19.30 Uhr, Eintritt 8.- (erm. 6.-) Euro. Moderation: Hubert Winkels