Strassenmagazin: Grass schreibt für „fiftyfifty“
Der Nobelpreisträger und weitere Autoren wie Roger Willemsen haben Texte für die Obdachlosenzeitung verfasst.
Ob Günter Grass Pilze sammeln ist, will Hubert Ostendorf immer zuerst wissen, wenn er bei einer Mitarbeiterin des Literaturnobelpreisträgers anruft. Mittlerweile ein verlässlicher Türöffner für den Chefredakteur von "fiftyfifty". Man kennt sich. Und Grass hat stets ein offenes Ohr für Ostendorf. Einzige Ausnahme: Er sammelt gerade Pilze.
Auch bei Ostendorfs jüngstem Anruf war Grass sofort bereit, einen exklusiven Text für das Straßenmagazin zur Verfügung zu stellen. Eine Woche später hat er geliefert. Thema ist sein Verhältnis zu dem expressionistischen Schriftsteller Ernst Toller. Vor drei Jahren hatte Grass der "fiftyfifty"-Gallery bereits spontan einige Grafiken zum Verkauf überlassen.
Ostendorf vermutet, dass Grass ihm wohl nicht zuletzt deshalb offen gegenüber steht, weil der Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg selbst obdachlos war und während seines Kunststudiums in Düsseldorf im Caritas-Heim am Rather Broich untergekommen ist.
Günter Grass ist einer von 15 bekannten Autoren, die auf Initiative des Literaturbüros NRW und "fiftyfifty" für die Ausgaben des Jahres 2008 exklusive Texte zur Verfügung gestellt haben. Darunter sind Namen wie Rainer Kunze, Ulla Hahn und Martin Baltscheit. In der Januar-Ausgabe geben Roger Willemsen, Harald K. Hülsmann und Peter Maiwald den Auftakt.
Willemsen hat zum Beispiel eine schräge Kolumne über das Schlafzimmer geschrieben: "Es gibt ihn noch, den mythischen Ort, an dem kein Öffentlichkeitsarbeiter seine Fußspur hinterließ. Man kann das nicht hoch genug schätzen, denn was für das Schlafzimmer zutrifft, gilt für das Innere des Darms nicht unbedingt. Für den guten Zweck lässt man auch schon mal ein Objektiv ins Rektum. Aufklärung halt."
Bereits in den Jahren 1999/2000 hatten Literaturgrößen wie Elfriede Jelinek und Robert Gernhardt für "fiftyfifty" geschrieben. Jetzt folgt die zweite Auflage des Projekts, für das 40 Künstler angesprochen wurden. 15 davon machen mit. "Uns geht es einerseits darum, Literatur an außergewöhnlichen Orten zu präsentieren, um mehr Menschen für sie zu begeistern", sagt Michael Serrer, Leiter des Literaturbüros NRW. "Andererseits haben die Obdachlosen mit solchen Namen auf dem Titel bessere Chancen, die Zeitungen zu verkaufen."
Strassenmagazin Die zwölf Jahre alte Obdachlosenzeitung erscheint monatlich mit einer Auflage von 40000 Exemplaren. Der Preis liegt ab 1. Januar bei 1,80 Euro. Die Hälfte geht an den Verkäufer.
Finanzierung Das Projekt finanziert sich selbst. Mit den Überschüssen unterstützt "fiftyfifty" Einrichtungen für Wohnungslose. In der "fiftyfifty-Gallery" werden zu diesem Zweck Kunstwerke verkauft.