Uraufführung: Pure Körper-Eleganz ohne jeden Titel
Klassische, fast konservative Bewegungen zeichnen den neuen Ballettabend von VA Wölfl im Marstall Schloss Benrath aus.
Düsseldorf. Der Eingang zum Bühnen- und Zuschauerraum des Benrather Marstalls ist durch fünf schlanke Lebensbäume versperrt, die auf Mini-Drehbühnen rotieren. Seitlich schiebt sich das Publikum zu seinen Plätzen, blickt auf die fast kahle Bühne, den Kupferdraht in einer Ecke, die Filmrolle, die Lautsprecher und das Metronom. Zwei Leitern lehnen an der Wand, an einer hängt auf den oberen Sprossen ein Keyboard. Ein Akteur setzt seitliches Licht.
Wir wohnen der Uraufführung des titellosen, neuen Ballettabends von Neuer Tanz bei. Das Ensemble tritt in Alltagsbewegungen auf. Gehen, Stehen, Blicken sind seine Elemente. Neun Akteure wissen, wie sie sich natürlich, graziös und mit geringem Aufwand bewegen können.
Niemand verdreht den Körper entgegen der Anatomie. Jeder nutzt die Schwung- und Schwerkraft des Körpers, bezieht den Kontakt zum Boden, zum Partner, zur Umgebung mit ein und erforscht den Einsatz von An- und Entspannung in den Bewegungen.
Seit rund 20 Jahren praktiziert VA Wölfl, Chef der Compagnie, diese puristische Form des Balletts, und er hat es damit in die erste Reihe der internationalen Choreographen geschafft. Die Tänzer agieren mit Pistolen, die die Bewegungen ihrer Arme verlängern. Wohlklingende Melodien von John Dowland erklingen, dem Komponisten aus der Shakespeare-Zeit.
Seine Musik passt zum Geist von Neuer Tanz. Sie begleitet nichts, sondern sie entfaltet sich im Raum, wie die Choreografie selbst. Künstler mimen die Arien, die vom Band abgespielt werden. Ein Akteur schwingt ein Weihrauchfass. Ein sentimentales Präludium also.
"Prädikat besonders konservativ" ist auf den simplen Handzettel gestempelt, der nur ein paar Namen, aber keinerlei Informationen mitteilt. Antithetisch zum gefühligen Einstieg erklärt ein Mann in repetierendem Ton, das Problem seien der Tanz, das Business und die Kunst.
Das liebe Geld spielt bei dieser Bühne stets eine Rolle, denn man kann und will sich nicht vermarkten. Wölfl denkt radikal, er will partout nichts mit der Unterhaltungsindustrie zu tun haben. Er setzt auf die Berechnung von Langsamkeit, von Wiederholungen, von Statik.
Es entsteht eine ungeheure Kälte bei gleichzeitiger Wärme, wenn drei Bunsenbrenner diagonal im Raum angeordnet sind und ihre Flammen zischen, während die Spieler mit klickenden Spielpistolen aufeinander zielen. Das Feuer springt gleichsam vom Arm oder Bein des einen Tänzers auf den anderen über.
Bunsenbrenner und Pistolen sind lediglich Mittel, um den Tanz noch klarer in Erscheinung treten zu lassen. Die Personen stützen sich gegenseitig ab, regeln die Sichtachsen untereinander, halten im äußerst minutiösen Ablauf inne. Doch immer bieten sie zugleich Improvisationen.
Am zweiten Abend der Uraufführung zündet eine Tänzerin ihr Mikrofon an, und nun mischt sich die aufgeheizte, emotionale Spannung mit dem Knacken, Knistern und Knallen der Metallkapsel. Die Geräusche gehen in die Arien John Dowlands über und durchströmen den Raum.
Während das Ensemble nun klassisch tanzt, mit Pas de Deux und Pirouetten, zieht die Projektion eines Jagdbombers im Hintergrund auf, scheint der Rauch der Bunsenbrenner unter dem Flieger zu zündeln und der Kupferdraht zu einem brennenden Dornbusch zu werden. "Das Problem des Tanzes ist, dass es auch Kunst und Business ist," wiederholt der Ansager, als sei nichts gewesen als pure Ästhetik.