Bärte, Akte, Reformation Wie Lucas Cranach mit der Mode ging
Düsseldorf (dpa) - Lucas Cranach der Ältere hatte ein Gespür nicht nur fürs Geschäft, sondern auch für die Mode. Der Renaissance-Maler war vor 500 Jahren das, was man heute ein Multitasking-Talent nennen würde.
Cranach (1472-1553) war Hofkünstler des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen und PR-Manager des verfemten Reformators Martin Luther. Er betrieb eine florierende Werkstatt, verbreitete mit Massenproduktion die Ideen der Reformation, hatte ein Apothekermonopol und war Bürgermeister von Wittenberg.
Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf nimmt im Reformationsjahr Cranach in seiner Gesamtheit in den Blick. Rund 200 teilweise noch nie öffentlich gezeigte Werke trug das Museum für die opulente Werkschau „Cranach. Meister - Marke - Moderne“ (8. April bis 30. Juli) im In- und Ausland zusammen. In die Ausstellung fließen neue wissenschaftliche Erkenntnisse des am Kunstpalast angesiedelten Cranach Digital Archive ein. Rund 1600 Werke haben die Forscher unter der Leitung von Professor Gunnar Heydenreich untersucht und die Ergebnisse digitalisiert.
Natürlich sind auch wegweisende Luther-Porträts Cranachs zu sehen, die Cranach in Masse als Drucke europaweit vertrieb. Heydenreich: „Ohne Cranach wäre die Reformation zweifellos nicht so erfolgreich gewesen.“ Cranach hatte das Monopol auf Luther-Darstellungen und prägte so maßgeblich unser heutiges Bild des Reformators.
Cranach beherrschte die altkirchliche Marienbild-Tradition ebenso wie er auch völlig neue Reformationsbilder eines milden Jesus Christus malte, der propere Babys segnet und die Ehebrecherin rettet. Die Düsseldorfer Ausstellung geht aber weit über die Reformation hinaus - schließlich legte sich auch Cranach nicht auf Luther fest, sondern malte auch dessen Widersacher und folgte dem Geschmack des Publikums.
Und das Publikum der Zeit wollte gern Nacktheit sehen. In Italien war die Aktmalerei längst etabliert. „Cranach hat den ersten lebensgroßen Akt nördlich der Alpen geschaffen“, sagt Kunstpalast-Direktor Beat Wismer. Cranachs „Venus und Cupido“ aus der Eremitage in St. Petersburg ist einer der Höhepunkte der prächtigen Werkschau.
Auch Konkurrent Albrecht Dürer, mit dem Cranach laut Heydenreich „im produktiven Wettstreit“ lag, malte Akte. Der Unterschied: Dürer malte Adam und Eva vor dem Sündenfall, Cranach danach. Cranach galt als moderner und schneller, Dürer war langsamer und minutiöser. Cranach hatte auch ein Gefühl dafür, was in der Zeit angesagt war: nicht nur Nacktheit, sondern auch Bärte. Fast alle Männer auf seinen Bildern tragen Vollbart: onduliert, gebürstet, gekämmt, in Form gebracht.
Auch einen Eindruck von der Wittenberger Werkstatt Cranachs, wo er mit seinen Söhnen Hans und Lucas sowie zahlreichen Mitarbeitern Bilder massenhaft produzierte, vermittelt die Ausstellung. Pigmente gewann man aus Ocker, Azurit, Malachit, Grünspan, Krappwurzel - Cranach hatte einen Wettbewerbsvorteil, da er über seine Apotheke leichter an die begehrten Elemente kam.
Vater Cranach, ein souveräner Zeichner, lieferte die Vorlagen, die Mitarbeiter malten nach oder pausten durch. Das gelang nicht immer gut, wenn man das Miezekatzengesicht eines Löwen neben dem büßenden heiligen Hieronymus ansieht. Um die Produktion zu rationalisieren, fertigte die Werkstatt die Holztafeln in verschiedenen Standardformaten vor. Passte das Motiv nicht drauf, wurden die Proportionen einfach verändert.
Bis in die Moderne diente Cranach als künstlerisches Vorbild. Picasso, Kirchner, Dix bezogen sich auf seine Bilder. Andy Warhol, ebenfalls ein effektiver Massenproduzent, machte aus Cranachs berühmten Bild einer adligen jungen Frau eine knallig buntes It-Girl. Kopieren ist allerdings gar nicht so einfach: Die Künstlerin Leila Pazooki ließ in China, dem Mekka der Kopisten, 100 Künstler Cranachs „Justitia“ nachmalen. Die Ergebnisse sind niederschmetternd.