Kult-Veranstaltung Kunstakademie Düsseldorf - Rundgang als Überlebenskampf der Jugend
Düsseldorf · Am Mittwoch beginnt der Rundgang der Kunstakademie am Eiskellerberg in Düsseldorf. Jeweils von 10 bis 20 Uhr können die Besucher die jungen Künstler hautnah erleben.
Rund 650 Studenten kämpfen in der Kunstakademie Düsseldorf darum, bekannt zu werden. Für die Kunststudenten aus 50 Nationen ist der Rundgang eine Frage der Existenz. Wer hier nicht gesichtet wird, kann sich nur wenig Hoffnung auf einen Erfolg in der Zukunft machen. Dementsprechend hart wird um die besten Plätze an den Wänden und auf den Böden gerungen.
Um dem Heer der Studenten Herr zu werden, greift die Hochschule unter Rektor Karl-Heinz Petzinka zu Notlösungen und beruft Semesterprofessoren, Gastprofessoren und Juniorprofessoren. Wenn also ab Mittwoch die Besucher willkommen sind, sollte man sich über die vielen neuen Namen in den Fachbereichen nicht wundern. Es gibt Spannendes zu erleben. Wir geben einen ersten Überblick über diese Kult-Veranstaltung, bei der bis Sonntag rund 45 000 Besucher erwartet werden.
Wie ein Höhlenmensch hockt der Student im vergessenen Fenster
Einen Vorgeschmack auf die Aussichten für die Zukunft geben vor allem die Bildhauer-Klassen. Catherina Cramer (Klasse Gonzales-Foerster) orderte eine Zelle zum Einlagern von Möbeln, die den schlechter Gestellten bei Mietschulden als Behausung dienen könnte. In Los Angeles ist dies schon jetzt der Fall. In einem Video stellt die Künstlerin Szenen mit diversen Lebensgemeinschaften nach. Hinter der farbenfrohen und zugleich kuschligen Inszenierung steckt eine sehr raue Wirklichkeit. Emil Walde (Hörnschemeyer) hat eine Fensterluke unter der Decke entdeckt. Wie ein Eremit will er dort in den kommenden Tagen ausharren. Allerdings wirkten schon gestern seine nackten Beine fast blau vor Kälte.
Moritz Riesenbeck (Schneider) hat sich für sein Endlos-Video einen Ackerboden ausgesucht. Dort rennt er permanent einer Drohne hinterher, die über seinem Kopf fliegt und ihn filmt. Da der junge Künstler seine Bewegungen beim Abspielen verlangsamt, entsteht der Eindruck, als berühre er zeitweilig gar nicht den Boden. Ein Laufen wie ein Fallen und ein Sich-Wieder-Abstützen. Das Ziel ist unbekannt. Linan Czho (McBride) lässt eine Figur wie im Rhönrad drehen, ohne weiterzukommen.
Ewig ist nicht die Kunst, aber die HeLa-Krebszelle im Inkubator
Kilian Heindl hat sich im Internet einen Inkubator für Krebszellen besorgt und anschließend das Universitätsklinikum überredet, ihm jene HeLa-Krebszellen zu schicken, die seit dem Tod der 31-jährigen Schwarzamerikanerin Henriette Lacks im Jahr 1951 am Leben gehalten werden. Man hatte der armen Frau ohne ihr Wissen aus ihrem Tumorgewebe die Zellen entfernt und 30 Jahre später einen Gen-Defekt bestimmt, der dafür sorgt, dass sich die Zellen auf ewige Zeiten vermehren. Nun werden sie in dem ausrangierten Kubus bei 37 Grad Körpertemperatur und unter Druck auch in der Kunstakademie am Leben gehalten. Der Besucher wird die Zellen nicht sehen, aber dennoch geschockt sein, wie leise es sich in diesem weißen Kasten um Tod und Leben dreht.
Seine Kommilitonin Jana Jess bereitet derweil ein Bett auf Rollen vor. Wer will, kann sich um Mitternacht, wenn die Akademie geschlossen hat, auf die Straße fahren lassen und sich unter dem weißen Bezug in einen Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit durch die Gegend schaukeln lassen.
Der Wald für Adam und Eva ist ein genmanipulierter Dschungel
Die größte Aufmerksamkeit erzielen in der Regel die Malereiklassen. Maximilian Siebenbruk (Anzinger) hat eine große Wand in einen genmanipulierten Dschungel verwandelt. In einer Ecke grüßt er im Selbstbildnis mit seiner Freundin als Adam und Eva. Kaori Hiraiwa, die langjährige Tutorin der Anzinger-Klasse, hat für den erkrankten Professor rund um die Uhr gearbeitet, um die 50 Studenten unter einen Hut zu bringen und gleichzeitig selbst Abschluss zu machen. Sie erschafft in ihrer sehr kontrollierten Kunst eine poetische Welt, die der Mensch noch nicht oder kaum betreten hat. Ebenfalls ihren Abschluss macht Sibylle Czichon (Klasse Schulze) mit Leinwänden, die an Höhlenmalerei erinnern. Sie hat die Farbe mit einem geriffelten Kunststoffschwamm abgenommen und dabei mit den Fingern und dem Ellbogen „gezeichnet“.
Protestbilder gegen Trump, aber auch gegen Polen
Jahrelang haben sich die Studenten nicht um die Politik geschert. Jetzt taucht sie wieder auf. Jisaeong Eoo (Havekost) malt den amerikanischen Präsidenten wie einen aus Holz geschnitzten Comic-Hundekopf. Ins Maul des Machos fliegen brennende Raketen. Eliza Wisziewska präsentiert zwei kämpferische Frauen, deren Mund und Nase zwar mit schwarzen Binden bedeckt sind, deren energischer Ausdruck aber nichts Gutes verheißt. Die Absolventin der Brandl-Klasse präsentiert keine lammfrommen Frauen, sondern Protestiererinnen aus Polen, die gegen die „schreckliche Situation“ für das weibliche Geschlecht, so die Künstlerin, inzwischen sogar auf die Straße gehen, um ihre Rechte einzufordern.
Der in Remscheid geborene Türke Hakan Erden (Fritsch) knöpft sich in einem subversiven Puppenspiel einen Moslem vor, steckt ihn in eine Burka und gibt ihm einen Stock in den Hintern, zum Zeichen für einen starren, unbeweglichen Typen. Dann aber lässt er ihn kopfüber baumeln, um ihn mit einem Holzhammer zu traktieren, so dass der Körper nach oben schlägt und eine Haltung spiegelt, als bücke sich die Figur zum Gebet. Sein Partner in der mechanischen Konstruktion ist ein Derwisch im Sternenbanner-Röckchen. Einen Raum weiter brennt sein Kommilitone Yutao Gao eine Brancusi-Säule an, um das Symbol der Unendlichkeit abzufackeln.
Auf leisen Sohlen protestiert selbst die Chinesin Yiy Zhang (Schneider) gegen die Akademieleitung, die zwei ihrer Vorschläge ablehnt. „Für unsere Studenten nur das Sicherste“, höhnt sie im Eingang gegen den sonst üblichen Spruch am Haus, der da lautet: „Für unsere Studenten nur das Beste.“
Gegen die Kunst der Fotografie mit Spritzpistole und Schaber
Wenige Tage vor Beginn des Rundgangs hockte Kai Borsutzky vor einem großformatigen Foto mit einem Landschaftsmotiv, das er auf eine lichtdurchlässige Folie gedruckt hatte. Er hielt eine Wasserpistole in der Hand, befeuchtete damit die Glanzoberfläche, um anschließend mit einem Skalpell Stellen vom Foto abzuschaben.
Dann steckte er das neu gewonnene Doppelbild aus Foto und Leerstellen-Zeichnung in einen Lichtkasten. Auch dies ist eine mutige Arbeit an einer Akademie, die jahrzehntelang die Unantastbarkeit der Fotografie verherrlicht hat. Borsutzky macht den Abschluss bei Ellen Gallagher, einer sehr berühmten afroamerikanischen Künstlerin, die neu am Eiskellerberg ist.
Christoph Wiedermann, Tutor beim ebenfalls neuen Professor Peter Piller, löscht im Nebenberuf Hasskommentare aus Online-Nachrichtenmagazinen aus. Dabei stieß er auf den Blogger Andreas Möhn, der täglich im Internet schreibt, ohne je eine Rückmeldung zu bekommen. Wiedemann sendet nun gleichsam einen persönlichen Gruß an den Unbekannten. Ähnlich subversiv und kryptisch sind die beiden Metallplatten von Andrea Marcellier in Blindenschrift, die die Worte „außer Betrieb“ enthalten. Eine fatale Situation ist dies in einer Akademie, die geradezu versessen auf den optischen Sinn ist.
In dem eher versteckten Büro-Raum ihres Professors Schneider (201) hat Yael Kempf eine Wohnlandschaft aus Algen aufgebaut. Dieses dunkle Seegras, mit denen man Sushi umwickelt, stammt von einer koreanischen Lebensmittelfirma. Deren Chef studiert zeitgleich an der Akademie und erfüllte ihr den Wunsch, unzählige Lagen Seetang zu liefern. Algen sind die Nahrung der Meere und der Menschen. Sie lösen sich auf und hinterlassen keinen Müll, wie ihn die Möbelindustrie produziert.
In der Gostner-Klasse hat Jan Hunkemöller ein Exemplar des alten Herder-Lexikons gekocht, püriert, mit Kleister zusammengepappt, austrocknen lassen und dann zerrieben. Entstanden ist nichts als Staub. Im digitalen Zeitalter holt man sich das Wissen schließlich kaum noch aus Büchern.