Modernes Leben: Wie die Zeit vergeht

Gerade kommt es vielen so vor, als sei das letzte Jahr verflogen. Doch manchmal dehnt sich die Zeit unendlich: beim Warten.

Düsseldorf.

„Please hold the line.“ Oder wie der Franzose sagt: „Restez en ligne“. Klingt wie ein Befehl, ist es auch, und somit dem deutschen „Bitte warten Sie“ nicht unähnlich. Dutzend-, hundert, ja vielleicht sogar tausendfach werden Anrufer in Düsseldorf mit dieser trilingualen Ansage und dem Zusatz, dass der nächste freie Mitarbeiter gleich zur Stelle sei, hingehalten. Unschön, aber nicht zu ändern. Warten will gelernt sein.

In diesen Tagen klagen viele Menschen darüber, wie schnell das letzte Jahr doch vorübergegangen sei — und meinen: und damit das ganze Leben. Doch im nächsten Moment wünschen sie sich wieder, die Zeit solle doch endlich vergehen. Dann nämlich, wenn sie warten müssen.

Kann man blöderweise nicht lernen. Nur hinnehmen. Oder doch? Security-Mitarbeiter Peter, den Nachnamen verrät er nicht, steht vor dem U-Bahn-Eingang Oststraße und sagt: „Ich kann gut warten, ich denke dabei einfach an was Schönes.“ Eng werde es allerdings, wenn die Warterei länger als eine Stunde dauert. Dann sei Schluss mit lustig.

So wie es Pia Schmidt aus Berlin ergehen könnte, die im Hauptbahnhof auf eine Auskunft wartet — es gibt Probleme mit ihrer Reservierung. Das macht sie schon seit 20 Minuten und zerknetet gerade das Zettelchen mit ihrer Nummer. Zwölf Zahlen sind noch vor ihr dran. „Das Gute an der Nummer ist, dass ich einen Eindruck bekomme, wie lange ich noch warten muss“, sagt Schmidt. Erster Eindruck: Probleme gibt’s wohl auch bei den Nummern vor ihr. „Nicht schlimm“, sagt Schmidt, „ich warte einfach und denke nach.“ Beispielsweise über Situationen, in denen Warten besonders übel ist. „Auf einen wichtigen Anruf warten ist schon blöd. Dabei fühle ich mich so ausgeliefert.“

Jacqueline Ndimbalan hat zwar keine Probleme mit ihrer Reservierung, muss aber auch Zeit totschlagen. Die S-Bahn, die schon längst am Halt Wehrhahn hätte einrumpeln sollen, kommt mit Verspätung. „Wenn ich Zeit habe, ist Warten nicht schlimm“, sagt Ndimbalan. Statt des Umkehrschlusses fährt sie fort: „Warten nervt nur, wenn ich schlechte Laune habe.“

Eine gute Nachricht liefert in diesem Zusammenhang die Wissenschaft. Oder eine schlechte. Kommt darauf an. „Männer und Frauen sind beide gleich gute oder schlechter Wartende“, sagt Professor Matthias Franz, Psychotherapeut an der Uni-Klinik. Das Grundproblem beim Warten sei, ob man mit sich selbst in guter Gesellschaft sein könne. Die Stille, die sich beim Warten fast schon zwangsläufig einstellt, könne unerträglich werden.

Schon kleine Kinder machten so ihre Erfahrungen mit dem Warten. Lektion I: Wenn ich weine, kommen früher oder später Mama und Papa und trösten mich. Lektion II: Wenn sie allerdings nicht kommen, fehlt was. Und Jahrzehnte später fehlt genau diese Erfahrung und die Warterei wird unerträglich. Weil alles auf die Frage hinausläuft: Kommt das Ersehnte oder nicht? Die Auskunft für Pia Schmidt erst nach 35 Minuten.