Theater Mr. Nobody jagt einmal quer durchs ganze Leben

Düsseldorf · Das Junge Schauspielhaus zeigt eine gelungene und temperamentvolle Adaption des Fantasy-Films als Bühnenstück. Der Hauptdarsteller überzeugt.

Natalie Hanslik (v.li.) , Marie Jensen, Selin Dörtkardeş, Eduard Lind, Jonathan Gyles und Paul Jumin Hoffmann malen die Requisiten.

Foto: David Baltzer

„Hast Du es Dir überlegt? Willst Du mit mir gehen oder bei deinem Vater bleiben?“ Eine Frage der Mutter stellt den achtjährigen Nemo vor unlösbare Probleme, scheint die zarte Kinderseele beinah zu zerreißen. Der Junge läuft zwischen den beiden hin und her, kann sich nicht entscheiden (wie soll er auch?) – so lange, bis sich die Türe des Vaters schließt und Nemo mit seiner Mutter gehen muss. Und mit ihr nach Kanada zieht. So lautet zumindest eine der Spiel-Varianten von „Mr. Nobody“. Der gleichnamige Fantasy-Film von Drehbuchautor und Regisseur Jaco van Dormael, der ab 2009 Kinokassen klingeln ließ, ist jetzt in einer Theaterfassung zu sehen. In Szene gesetzt von Jan Gehler im Jungen Schauspielhaus – in Turbotempo, voll sprühender Vitalität, mit sparsamen Requisiten, aber reichlich Schulkreide.

Die Inszenierung lebt vom
Temperament der Darsteller

Der Regisseur schrieb dazu eigens eine Spielfassung, die sich an Jugendliche ab 13 Jahren richten soll. Eine Fülle von Jugend- und Erwachsenen-Geschichten werden erzählt und wie Puzzleteile auf die Bretter geworfen. Dass sie sich am Ende zu keinem eindeutigen Puzzle-Bild zusammenfügen, war schon Problem des Films. Egal. Auf der Münsterstraße zu sehen ist jedenfalls eine rein analoge Fantasy-Inszenierung, die überwiegend von quicker Lebendigkeit und dem Temperament der Darsteller lebt und ohne digitalen oder virtuellen Smartphone-Schnickschnack auskommt. Und damit sein Publikum mitzieht. Die Premiere Samstagabend wurde von Zuschauern dreier Generationen gefeiert; denn es geht ja nicht nur um die Jugend. Sondern Nemo Nobody, so der Name (zweimal Niemand) des Titelhelden, taucht in verschiedenen Altersstufen auf – anfangs ist er acht, plötzlich 117, dann wieder 15 und schließlich ein Familienvater von 34 Jahren. In emotionaler Aufwühlung zu jeweils verschiedenen Freundinnen oder Geliebten – namentlich Anna, Elise und Jean. Flott gespielt von Marie Jensen, Selin Dörtkardes und Eduard Lind.

Hintergrund: In verschiedenen Lebensphasen sind es Mädchen, Frauen oder einmal eben ein Mann, in die sich Nemo verliebt, zur/zum Partnerin/Partner wählt und große Zukunftspläne von Haus mit Pool und Helicopter-Landeplatz schmiedet. Fantasygerecht springen die Mimen im Affenzahn (beinah wie in Filmschnitten) von einer Epoche in die nächste – angetrieben von quietschender Geräuschkulisse (Vredeber Albrecht) und virtuosen Lichteffekten (Marek Lamprecht). In pausenlosen 100 Minuten durchlebet man die Qualen von Wahlen oder Entscheidungen, die Mister Nobody zu treffen hat.

Im Fokus und Dauereinsatz: Der flinke, extrem wandlungsfähige Jonathan Gyles – nahezu eine Idealbesetzung für die Titelrolle. Gerade ist er noch der Junge, der sich an beide Elternteile klammert, plötzlich der zitternde Tattergreis, der sich nicht nur an Vergangenheit erinnert, sondern auch in die Zukunft der jungen Generation blicken kann. Das gelingt Gyles mit hintergründigem, aber jungenhaftem Witz – genauso wie die turtelnden Verliebten-Szenen. Nachdenklich indes beleuchtet er das Hin- und Herflattern vor wegweisenden Entscheidungen. Ein Problem, das vor keinem Alter Halt macht. All das gelingt dem quirligen Lockenkopf Gyles, ohne allzu laut auf die Boulevard-Pauke zu hauen.

Der Schauplatz: Ein Halbrund mit durchsichtigen Tafeln, auf dem die Darsteller zahlreiche Requisiten (wie Koffer, Bäume, Türen oder Objekte der Begierde) hastig mit ein paar Kreidestrichen skizzieren. In dem originellen, multifunktionalen Dekor von Ausstatter Ansgar Prüwer springen die Szenen und Zeitebenen vorwärts und rückwärts, Freundinnen sind plötzlich Mütter, Harry, der Geliebte der Mutter (Eduard Lind) mutiert von einer Sekunde zur nächsten zu Nemos Liebhaber Jean, mit dem er sich streitet, ihm droht. Er kann sich selbst hier nicht entscheiden, befragt das Publikum – „Soll ich ihn ohrfeigen oder küssen?“ Antwort aus der ersten Reihe: „Küssen!“ Gewünscht, getan. Und dennoch nimmt auch dieses Spiel kein gutes Ende. Was bleibt bei so viel Entscheidungs-Panik? „Das Leben ist ein Spielplatz. Sonst nichts.“ Dieser Satz sollte, so steht es in großen Lettern auf dem Programmheft, in jeder Schulklasse an der Tafel geschrieben stehen.

Fazit: Analoges Fantasy-Vergnügen mit Tiefgang. Manchmal eine keuchend, hektische Reise zwischen Zeiten und Generationen. Vielleicht doch erst für Jugendliche ab 16 geeignet.

3., 14., 18., 19., 20. Juni, 4. Juli. Junges Schauspielhaus, Münsterstr. 446. Tickets: Tel. 36 99 11, www.dhaus.de