„Preisgünstig und schön zu bauen, ist möglich“
Die Architektin Donatella Fioretti fordert von der Stadt eine Abkehr von der Vergabe ganzer Areale an einen Bauherrn.
Donatella Fioretti ist neue Professorin für Baukunst an der Kunstakademie. Die gebürtige Italienerin aus Savona machte ihr Architekturdiplom in Venedig, arbeitete bei Peter Zumthor und gründete 1995 eine Architektengemeinschaft mit Piero Bruno und Josè Gutierrez Marquez. Das Büro sitzt in Berlin und Lugano, ist sehr erfolgreich bei nationalen und internationalen Architekturwettbewerben und wird regelmäßig in internationale Preisgerichte eingeladen. Ein Gespräch.
Frau Donatella Fioretti, Ihr Architekturbüro ist berühmt. Ich erwähne hier nur die Meisterhäuser am Bauhaus Dessau, für die Sie den Architekturpreis des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt erhielten. Ihre Schwerpunkte sind Kulturbauten, Wohnungs- und Bildungsbauten. Haben Sie eine Handschrift?
Fioretti: Wir sind nicht interessiert an einer formalen Handschrift, sondern an der präzisen und konsistenten Ausarbeitung einer Aufgabe. Und manchmal sind wir schon ein bisschen überrascht, was dabei herauskommt.
Das ist ein gutes Zeichen für Kreativität. Aber warum sind Sie aus Berlin ins flächenarme und geschichtsarme Düsseldorf gekommen? Was reizt Sie an dieser Stadt ohne Unesco-Welterbe?
Fioretti: Düsseldorf ist überhaupt nicht so geschichtsarm, aber ich bin zunächst wegen der Kunstakademie gekommen. Mittlerweile lerne ich die Stadt kennen, und sie überrascht mich ständig. Ich fühle mich hier sehr wohl.
Was überrascht Sie denn?
Fioretti: Auf einer ganz alltäglichen Ebene überrascht mich die Herzlichkeit der Leute. Sie sind offen und zuvorkommend, etwas anders als in Berlin.
Sie hatten in Berlin an der TU Baukonstruktion und Entwerfen gelehrt. Nun ist es die Baukunst-Abteilung. Was ist das überhaupt, Baukunst? Gibt es die?
Fioretti: Natürlich gibt es sie. Das ist eine lange Diskussion. Die Architektur vereint in sich künstlerische und technische Aspekte. Man kann Baukultur machen oder ganz pragmatisch eine Aufgabe lösen. Ich habe den Eindruck, dass Architektur in Deutschland eher als Technik verstanden wird. Ich fühle mich natürlich viel wohler in einer Architektur, die auch geistige und nicht nur technische Aspekte zulässt.
Düsseldorf ist nicht die einzige Stadt, die unter banalen Renditeprojekten leidet. Dabei entsteht viel Quantität, aber wenig Qualität. Sie errichteten vor fünf Jahren in Berlin neben der Siedlung des berühmten Architekten Bruno Taut ein Ensemble, das nicht nur dem Unesco-Welterbe entspricht, sondern auch günstig geplant war. Preiswert und schön zugleich, geht das heute noch?
Fioretti: Preisgünstig und schön zu bauen, ist schwierig, aber es ist kein Widerspruch. Besonders im geförderten Wohnungsbau machen die Normen eine sinnvolle Umsetzung eines Projekts extrem arbeitsintensiv. Man braucht gute Bauherren, die mitdenken können.
Der neue Städtebau stürzt sich gern auf den öffentlichen Raum und zerstört ihn flächenhaft. Kann man das verhindern?
Fioretti: Die Architektur kann viel bewirken, aber sie kann nicht alle Probleme lösen. Die Qualität des öffentlichen Raums ist von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten bestimmt. Die Entscheidungen über den öffentlichen Raum sind vor allem politisch.
In Düsseldorf gibt es einen Trend zur Kompaktvergabe ganzer Areale an ein und denselben Bauherren. Es ist natürlich einfacher für die Planungsämter, nur mit einem Investor zu sprechen. Aber dadurch entsteht eine Monostruktur. Lässt sich das steuern?
Fioretti: Ein einziger Investor bedeutet weniger Arbeit bei der Verwaltung, aber oft eine sehr homogene soziale Struktur. Das ist gerade das, was in der Stadt nicht passieren sollte. Eine soziale Mischung ist wichtig. Das ist auch eine hochpolitische Entscheidung.
Jahrhundertelang öffnete sich das Haus zur Straße hin, mit Geschäften, Gaststätten und Vorgärten. Heute lieben es Investoren, ihre Kunden hinter Barrieren zu verschanzen, und nennen dafür Sicherheitsgründe. Aber ein Schwätzchen mit dem Nachbarn ist nicht mehr möglich. Kann man dem entgegenwirken?
Fioretti: In der Bruno-Taut-Siedlung in Berlin, wo wir die Erweiterung geplant haben, mussten wir kämpfen, um eine Bäckerei zu haben. Wohnungsgenossenschaften sowie Investoren tendieren dazu, sich zu spezialisieren. Sie haben keine Ahnung und keine Lust, sich mit dem Erdgeschoss und seinen Läden auseinanderzusetzen. Aber diese Bäckerei funktioniert perfekt, weil alle Leute hingehen. Die Stadt muss eben auch die gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss bestimmen. Das Erdgeschoss ist städtebaulich der wichtigste Teil im Haus, weil es die Schnittstelle mit der Stadt definiert.
Sie wenden sich dezidiert gegen die deutsche (Un-)Sitte, ganze Gebäude mit Kunststoffmaterialien zu verpacken, die in 20 Jahren als Riesenberg auf Sondermüllhalden landen werden. Halten Sie diese Energiespar-Berechnungen für ideologisch?
Fioretti: Das ist leider nicht nur eine deutsche Unsitte. Man braucht eine Gesamtberechnung beim Energiesparen, die auch die kommenden 30 Jahre mitberücksichtigt. Die unsinnliche Produktion von Sondermüll, die ein Wärmedämmverbundsystem verursacht, ist eben nicht gerade nachhaltig.
Sie nahmen sofort mit Ihren Studenten am Rundgang teil. Es ging um Kunstateliers in einem historischen Kontext. Wie würden Sie die historischen und die neuen Bauten aufeinander beziehen?
Fioretti: In unserem Büro ist es sehr wichtig, nicht dogmatisch zu sein. Es gibt eine viel größere Palette, mit dem Bestand zu arbeiten, als man denkt. Man muss den Bestand aber erst sehr gut kennen. Diese Aufgabe war lange Zeit bei den Architekten nicht so beliebt. Aber jetzt ist es ein großes Interesse, auch auf Seiten der Studenten, mit diesem Thema zu arbeiten.
Die letzte Frage: Es heißt, Sie seien nach Deutschland wegen der Philosophie und der Literatur gekommen. Sind Sie ernüchtert? Oder sind Sie trotz der vielen Arbeit eine Leseratte geblieben? Ohne Fernseher, aber mit Büchern etwa zu Marcel Prousts?
Fioretti: Ich bin eine Leseratte geblieben. Nach Düsseldorf fahre ich fast immer mit dem Zug. So habe ich wahnsinnig viel Zeit zum Lesen.