Serienmörder Peter Kürten: Der Charmeur mit der Freude an Blut
Der Düsseldorfer Hanno Parmentier gibt tiefe Einblicke in das Leben Kürtens. Und beschreibt nüchtern dessen Brutalität.
Düsseldorf. Als seine spektakuläre Serie mit acht Morden und zahlreichen Mordversuchen 1929 beginnt, ist Peter Kürten 45 Jahre alt. 16 Monate lang hält er Düsseldorf, aber auch ganz Deutschland in Atem. Aber: Eigentlich ist es jetzt bereits 100 Jahre her, dass der Serienmörder, der als „Vampir von Düsseldorf“ Geschichte schrieb, das erste Mal brutal zuschlug.
Ein blutrünstiges Jubiläum. Zudem liegt sein Geburtstag im Mai 1883 jetzt 130 Jahre zurück. Pünktlich zu diesem „Kürten-Jahr“ hat der Düsseldorfer Autor Hanno Parmentier jetzt sein Buch „Der Würger von Düsseldorf“ veröffentlicht. Ein Werk voller Fakten aus den Bergen an Kürten-Akten. Und eine unfassbare Kriminalgeschichte.
Es ist ein Sonntagnachmittag, als Peter Kürten im Mai 1913 mit dem Zug von Düsseldorf nach Mülheim am Rhein fährt, das später nach Köln eingemeindet wird. Es ist seine Geburtsstadt.
Sein Ziel an diesem Tag: Ein Haus mit einer Wirtschaft im Erdgeschoss zu finden, wo er in die darüberliegenden Wohnräume einbrechen kann. Einbrüche sind neben Brandstiftungen damals seine kriminelle Spezialität. Das geeignete Objekt findet er gegen 23 Uhr an der Wolfstraße (nach der Eingemeindung Keupstraße): die Wirtschaft „Zum Goldenen Roß“.
Die Tür zum Treppenhaus ist offen, Kürten geht in den ersten Stock und durchsucht die Zimmer nach Wertsachen — ohne Erfolg. Mit seinem Dietrich öffnet er eine weitere Tür. „Noch im Schein meiner Taschenlampe erblickte ich in dem Bett ein schlafendes Mädchen“, zitiert Parmentier Kürten aus den Aufzeichnungen seiner Aussagen. Es ist Christine Klein (9). Sein erstes nachgewiesenes Opfer.
Das Kind wacht auf, als Kürten angreift, wehrt sich das Mädchen. Doch der 30-Jährige würgt es bis zur Bewusstlosigkeit, verletzt mit der Hand ihre Geschlechtsteile schwer, zieht dann ein Messer zweimal über ihren Hals. Steht da und sieht das Blut sprudeln. Voller Freude. Dann flieht er.
Am nächsten Tag kehrt er zurück, sitzt in einer Gaststätte gegenüber des Tatortes, ergötzt sich an den Gesprächen der Nachbarn. Da bemerkt er auch, dass er zwei Taschentücher mit seinen Initialen verloren hat. Eines findet die Polizei im Haus der Familie Klein — doch Christines Vater heißt mit Vornamen Peter, hat also dieselben Initialen wie Kürten; so erregt der Fund keinen Verdacht.
17 Jahre lang bleibt der Mord unaufgeklärt. Noch heute könnte man ihn Kürten wohl nicht nachweisen — hätte er ihn nicht nach seiner Verhaftung gestanden und bis ins kleinste Detail geschildert, wie es nur der Mörder kann. „Das hat viel mit seiner Geltungssucht zu tun“, erklärt der Journalist und Historiker Hanno Parmentier.
Nie hat Kürten wirklich versucht, eine Tat zu vertuschen, die Leiche zu verstecken. Einzig Maria Hahn, die er im August 1929 umbringt, begräbt er. Vielleicht weil sie sich nicht von ihm ansprechen lässt, sondern ihn anspricht — weil sie freiwillig mit ihm schläft. Sterben muss sie trotzdem. Aber immerhin bestattet Kürten sie am Waldrand zwischen Gerresheim und Erkrath.
Er streicht ihr über das Haar, bevor er ihren Leib mit Erde bedeckt. „Das rührselige Gefühl hat nicht zu einem Tränenerguss geführt, wohl aber werde ich feuchte Augen gehabt haben“, erinnert sich Kürten in der Vernehmung. „Ich habe wohl in meinem Leben überhaupt nicht geweint.“ Später schickt er eine Skizze der Grabstelle an die Polizei, damit die Leiche doch gefunden wird.
Maria Hahn ist das dritte Todesopfer der Mordserie von 1929. Zumindest das dritte, das Kürten zweifelsfrei nachzuweisen war — nach der achtjährigen Rosa Ohliger und dem 54-jährigen Rudolf Scheer, dem einzigen männlichen Opfer. 46 Morde und Mordversuche listet Autor Parmentier in seinem Buch auf — viele bewiesen, manche nicht. Schon als kleiner Junge will Kürten drei Jungen in einem See ertränkt haben — ob das stimmt, ist unklar; passen würde es.
Ob alles anders gekommen wäre, hätte Peter Kürten nicht von klein auf Brutalität gelernt — es ist bloße Spekulation. Fest steht, dass der spätere Massenmörder als Sohn eines gewalttätigen Säufers aufwächst, der 1898 wegen Blutschande verurteilt wird. Er hatte seine Tochter, Peter Kürtens Schwester, vergewaltigt. Fast systematisch lernt der junge Kürten, sich an Gewalt zu erfreuen — von einem Hundefänger, der im selben Haus lebt und mit dem er lebenden Welpen die Haut abzieht. Mit Tieren geht es weiter, als er seinen Schulabschluss gemacht hat. Er bricht in einen Stall in Ludenberg ein und sticht einem Schweinchen in den Rücken. „Es blutete toll und schrie“, berichtet er später bei seinen Vernehmungen begeistert.
Der Gerichtsmediziner, der Kürten begutachtet, kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Sadist ist. Kürten aber gibt an, er habe sich durch seine Taten rächen wollen. An einem unmenschlichen Strafvollzug, den er dank seiner Diebereien und anderer Straftaten früh kennenlernte. Für sein zerstörtes Leben. Doch als der Richter ihn im Prozess fragt, was denn all die Kinder und jungen Frauen dafür gekonnt hätten, so schreibt ein Prozessbeobachter 1931 in der Zeitung, senkt Kürten den sauber gescheitelten Kopf und sagt leise: „Ja, das Sexuelle, das kam noch hinzu.“
Der rätselhafte Serienkiller, dieser kluge, charmante, kaltblütige Mann — nur ein Triebtäter? Es ist dieses Bild, das sich Parmentier immer wieder selbst vor Augen halten muss, als er an seinem Werk schreibt. Als er Kürten, sein Leben, seine kranke, aber doch zwingende Logik, über Monate kennenlernt. „Er kommt einem sehr nahe“, sagt der Düsseldorfer, der in Gerresheim wohnt — einen Steinwurf von der Hälfte aller Tatorte entfernt. „Ich hatte manchmal am Schreibtisch schon das Gefühl, er steht hinter mir.“
Um die Distanz wiederzufinden, liest er Autopsieberichte von Opfern, Tatbeschreibungen. Wie die des Mordes an Kürtens jüngstem Opfer, der erst fünfjährigen Gertrud Albermann. Auf einem Gelände an der Lenaustraße würgt er das Mädchen bis zur Ohnmacht, dreht es auf den Bauch und vergewaltigt es, während er mit einem Messer auf dessen Oberkörper einsticht. „Es gibt nur zwei Dinge, die Peter Kürten erregen können: Feuer und Blut“, erklärt Hanno Parmentier. Für die Opfer gibt es eine einzige Hoffnung, wenn der Würger sich auf sie stürzt: Dass er rasch zum Höhepunkt kommt. Dann lässt er meist ab.
Solche Taten sind es, die Peter Kürten das Nachvollziehbare nehmen. Die Distanz wieder herstellen. Ebenso wie der Mord an einer Frau, die Parmentier während seiner Recherche regelrecht liebgewonnen hat: Elisabeth Dörrier.
„Sie hat ein verrücktes Leben geführt“, sagt er. Geflohen aus einem Leben als Hausangestellte in Holzminden geht sie zum Zirkus, landet in Bilk. Letztlich flaniert das bildhübsche, blauäugige Mädchen als Gelegenheitsprostituierte über die Kö — und trifft dort auf Kürten. Wie immer nimmt er sie mit zum Schumacher an der Oststraße, seinem Stammlokal. Dann fahren sie mit der Straßenbahn nach Grafenberg, laufen Richtung Dreherstraße.
Auf einem Wiesenstück, wo heute der DSC 99 seine Anlage hat, zieht er ihr plötzlich einen Hammer über den Kopf. „Es war die Zeit seiner Hammermorde“, sagt Parmentier. Kürten vergeht sich an der Schwerverletzten, steht dann minutenlang vor ihr und weidet sich an der Vorstellung, wie groß der Aufschrei nach dieser Tat wieder sein würde. Dann schlägt er ihr noch mehrfach auf den Kopf, bevor er sie zum Sterben zurücklässt.
Sterben wird die 22-Jährige aber erst zwei Tage später im Krankenhaus. Ein leidvolles Ende für ihr buntes kurzes Leben. Vielleicht, so überlegt Hanno Parmentier, wird er auch über sie mal ein Buch schreiben. Mal ganz genau auf das Opfer schauen. Nicht nur auf diesen blutrünstigen Täter, der auch 100 Jahre nach seinem ersten brutalen Mord noch immer eine erschreckende Berühmtheit ist.