Stadt-Teilchen Die Tristesse der Fensterbank-Wüstenei
Düsseldorf · Die Fensterbank - Geschmacklicher Todesstreifen mit Kakteen, Gummibäumen und Orchideen.
Wenn man aus dem Haus geht, dann zupft man die selbstverständlich blitzsaubere Kleidung zurecht, kämmt noch einmal das Haar und schaut, ob die Schuhe genau jenen Glanz verströmen, den man sich für die eigene Gesamtexistenz wünscht. Kurzum: Man macht sich zurecht, man zeigt sich. Wie man drinnen rumläuft, was man dort trägt, geht niemanden etwas an. Das ist privat. Das ist drinnen.
Aber dann ist da noch dieser Bereich zwischen drinnen und draußen, jene Transferzone, die noch zur Wohnung gehört, die aber von außen einsehbar ist, vor allem, wenn man im Erdgeschoss wohnt und die Fensterbank in Augenhöhe der vorbeieilenden Passanten liegt. Die Fensterbank ist eine Art Transitzone. Nicht mehr ganz drinnen, aber auch noch nicht draußen. Ein Ort, für den sich niemand zuständig zu fühlen scheint, denn wie sonst könnte es angehen, dass die Fensterbank in so vielen Fällen ein Ort der Tristesse, ein geschmacklicher Todesstreifen ist, ein Raum, der Blicke eher abschreckt als dass er sie anzieht.
Wer durch die Stadt geht, kann diese Orte der Traurigkeit nicht übersehen. Sie finden sich in den einzelnen Stadtteilen in unterschiedlicher Ausprägung. Ein nicht repräsentativer Feldversuch in Oberkassel, Friedrichstadt und Bilk legt nahe, dass linksrheinisch etwas mehr Wert auf das Bild am Fenster gelegt wird als auf der anderen Seite des Flusses. Das hängt vor allem mit der Orchidee zusammen. Sie gilt allgemein als Blume der exotischen Träume. Wer Träume ausschmücken möchte, ist mit Orchideen gut beraten. Wenn man „Orchidee“ sagt, klingt ein bisschen Luxus mit. Leider entspricht das wahre Dasein dieser Pflanze nur selten dem, was Träume so wunderbar ausmalen. In der Realität kann man bei einem Rundgang durch Bilker Straßen viel Mitleid mit der Orchidee bekommen. So oft präsentiert sie sich dieser Tage als dürrer Stängel, dem schon lange keine Zuwendung mehr widerfahren ist. Selten, dass mal eine Blüte das Gestänge schmückt.
Viel häufiger kann man den Staub sehen und riechen, den diese Inkarnation der Trostlosigkeit auf sich versammelt und damit den Schluss nahelegt, dass man alles sein möchte, aber keine fast vergessene Orchidee auf einer Bilker Fensterbank. Schlimmer wird die Öde der Orchidee noch, wenn sie sich den Platz am Fenster mit Hartgummigewächsen und Kakteen teilen muss. Wer sich je fragte, wo all die stacheligen Gewächse landen, die in der Ramsch-Ecke von Blumenläden feilgeboten werden, dem sei ein kurzer Rundgang durch die Burghofstraße, die Binterimstraße, die Karolingerstraße und die Aachener Straße empfohlen. So viele Kakteen, so viele Orchideen, so viele Gummibäume. Schaut man länger auf die Schaufenster, die mehr abweisen als dass sie einladen, dann beneidet man jeden Grashalm, der irgendwo zwischen Bürgersteigfugen sein karges Auskommen findet. Der kann wenigstens frei atmen und muss nicht zwischen verdreckten Fenstern und vergilbten Gardinen ein Dasein fristen, das die Frage verbietet, was sich denn wohl in den Räumen dahinter abspielt. Man möchte das angesichts dieser Fensterbank-Wüstenei gar nicht wissen.
Da erscheint es mancherorts gleich wie eine Erlösung, wenn die Menschen ihre Parterrefenster mit einer Milchglasfolie verkleben. Die ist von Natur aus undurchschaubar und lässt wenigstens Raum für Mutmaßungen. Nur was direkt hinter der Scheibe steht, zeichnet sich sanft ab. Kürzlich erblickte ich die Umrisse einer Orchidee hinter Milchglas. Orchidee in Milch, das hatte was Zärtliches, das ließ die Gedanken sprießen wie es die Fensterbankblumen viel zu selten tun. Ach, könnte man sie doch befreien und an einen Ort verbringen, wo sie es besser haben, wo sie wieder Optimismus lernen können.
Wie viel schöner ist es da doch, wenn am Fenster Bären, Roboter und Raketen kleben, wenn man gleich sieht, dass dort Kinder wohnen, dass da Leben ist. Da wird nach außen transportiert, dass drinnen gute Laune Pflicht ist, da ist die Barriere zwischen drinnen und draußen aufgehoben, ein bisschen nur, aber immerhin. Und gelegentlich bekommt man beim Flanieren auch mal einen Lichtblick zu Gesicht. In der Burghofstraße etwa. Da hat jemand Selbstgemaltes ins Fenster gestellt. Nicht zum Verkauf, einfach nur so. Hier ist es jemandem ganz offensichtlich nicht völlig egal, wie er von außen wahrgenommen wird. Auf kleinen Staffeleien stehen Bilder, die der Louvre möglicherweise ablehnen würde, die aber den Passanten hier trotzdem mal ein Lächeln abgewinnen. Sie sind quasi ein Kommunikationsangebot an die Vorbeieilenden und eine Mahnung an alle Orchideen. Blüh mal wieder!