Tayar Tunc: „Sport ist das beste Instrument, um Vorurteile abzubauen“

Düsseldorf. Tayar Tunc, der Macher des Sportwerks, über Taekwondo und Integration im und durch Sport.

Herr Tunc, wie Sind Sie zum Taekwondo gekommen?

Tunc: Ich bin als elfjähriger Junge sozusagen aus dem tiefsten Anatolien nach Düsseldorf gekommen, in eine für mich völlig neue Welt. Meine Eltern haben damals gleich erkannt, dass Sport sehr wichtig ist, um hier Kontakte zu knüpfen und als Kind zurechtzukommen. Dabei war ich auf mich alleine gestellt, konnte die Sprache nicht — ein Desaster für einen Elfjährigen. Und ich habe erkannt, dass ich mich behaupten muss, auch körperlich, dass es schon mal Reibereien gibt, dass ich mich verteidigen muss. Also wollte ich erst Karate machen, ein Freund empfahl mir aber Taekwondo. Und so habe ich angefangen in der Budokan-Kampfsportschule an der Bahnstraße.

Mal ehrlich: Wenn man heute hört, dass Kampfsport bei Migranten gleich nach dem Fußball kommt, denken viele: Klar, die rüsten körperlich auf, um auf der Straße alle umhauen zu können.

Tunc: Da bin ich aber froh, dass Kampfsportler nicht an erster Stelle stehen. Etwas mehr Aggressivität hätte den deutschen Fußballern gegen Italien vielleicht gutgetan. Aber das sind Klischees. So gedacht, könnte man auch sagen: Die Deutschen sind Memmen, die verstecken sich am liebsten in Mannschaftssportarten und wollen sich nicht eins gegen eins messen. Das stimmt natürlich nicht. Wer glaubt, Taekwondo locke besonders aggressive Leute an, müsste erklären, warum wir hier mehr — und übrigens auch erfolgreichere — Mädchen haben. Außerdem ist der größere Teil unserer Mitglieder deutsch. Also: bitte keine Schubladen.

Dennoch: Warum ist Kampfsport bei Migranten so beliebt?

Tunc: Keine Frage, Sportarten haben auch mit Mentalitäten zu tun. Die Türken werden garantiert nie die besten Skilangläufer, die Deutschen nicht Taekwondo-Weltmeister. Ich will aber etwas zu den Jugendlichen hier sagen: Ja, wenn sie anfangen, geht es vielen zwar auch um Selbstsicherheit und Disziplin, im Mittelpunkt steht aber: Selbstverteidigung, der Wunsch, stark zu sein. 90 Prozent der Eltern wollen, dass sich ihre Kinder verhältnismäßig verteidigen, der Sicherheitsaspekt geht also in erster Linie auf sie zurück. Dann aber, je mehr und je intensiver der Nachwuchs trainiert, kippt diese Motivation — es wird Sport, irgendwann Leistungssport. Ich will Erfolg, ich will auf Wettkämpfe, das werden die Ziele, die wir auch steuern.

Trotzdem haftet dem Kampfsport nicht gerade ein gutes Image an.

Tunc: Dieser negative Beigeschmack kommt aber eher von Hinterhof-Kampfbuden und aus der Kickbox- und Türsteherszene. So kann doch nicht eine olympische Disziplin wie Taekwondo ins falsche Licht gerückt werden. Leider gibt es außerdem einige dubiose Taekwondo-Schulen, die sportlich eine Katastrophe sind. Da werden die Schüler über den Tisch gezogen, es werden Gürtel verliehen für nichts. Die sind nicht in den Strukturen des Sportverbandes organisiert.

Sie sagten anfangs, Sport diene der Integration. Nun sind Sie neuer Vizepräsident des Stadtsportbundes, der Interessenvertretung von 370 Vereinen. Warum?

Tunc: Ich bin gefragt worden, ob ich in den Vorstand will und da habe ich gerne ja gesagt. Das sind richtig gute Leute beim Stadtsportbund. Und ich glaube wirklich zu wissen, was Vereine bewegt, ich komme von der Basis und habe selbst den Aufbau eines Vereins bis hin zum Bundesstützpunkt geschafft. Natürlich kümmere ich mich besonders um Integration. Ich glaube, dass Sport das beste Instrument ist, um Vorurteile abzubauen. Und zwar gegenseitig.

Aber ist in der Realität auch wirklich alles so prima? Warum gibt es dann etwa beim Fußball ausländische Nationalmannschaften in Düsseldorf?

Tunc: Nein, es ist nicht alles toll, auch in Düsseldorf nicht. Ich bezweifele, dass es viel bringt, wenn man ständig allen Integrationsprojekten hinterherläuft. Abgesehen davon, dass ich manche überflüssig finde, Extra-Schwimmkurse für muslimische Mädchen zum Beispiel. Da sage ich: Wer beim normalen Unterricht nicht mitmachen will, der muss halt sehen, wie er schwimmen lernt. Integration ist kein Projekt, was der Politik ab und an mal wieder einfällt. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder nicht ausgegrenzt werden und sich als Teil der Gesellschaft fühlen. Bei den Fußball-Teams gilt es, genauer hinzuschauen. Das sind ja nicht alles engstirnige Leute. Ich verstehe sogar, wenn man in der Fremde das Bedürfnis verspürt, sich zusammenzutun. Aber es darf nicht so weit gehen, andere von vorneherein auszuschließen. Da muss auch die Stadt das Gespräch suchen, die Gründe erkunden und bei Lösungen helfen.