Erst einmal vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Gespräch nimmst. Du gibst ja sonst nicht so viele Interviews.
Interview Vom Ritchie: „Düsseldorf hat gute Bands, aber zu wenig Proberäume“
Düsseldorf · Der Schlagzeuger der Toten Hosen über die Anfänge seiner Karriere bis zu seinen aktuellen Projekten – und über seine ersten deutschen Worte.
Wenn Campino vorne auf der Bühne hin- und her flitzt, Breiti, Kuddel und Andi die Gitarren und Bass bearbeiten, gibt Vom Ritchie am Schlagzeug den Takt vor. Dem Express hat er in einem seiner seltenen Interviews über seine schlimmsten Verletzungen, die Musikszene in Düsseldorf – und sein erstes deutsches Wort gesprochen.
Vom Ritchie: Es ist klar geregelt, dass Campino derjenige ist, der die Band nach außen vertritt – und sein Deutsch ist einfach besser (grinst). Davon abgesehen bekommt er einfach die meisten Anfragen. Mit mir wollen meist nur englischsprachige Musikzeitschriften reden – da geht es meist ums Schlagzeug.
Eigentlich heißt du ja Stephen George Ritchie – wie kam es zum Spitznamen „Vom“?
Vom Ritchie: Ich habe mir den Namen nicht selbst ausgesucht. In den Achtziger Jahren habe ich in einer Band gespielt, die hieß „Doctor & the Medics“. Dort habe ich den Namen bekommen. In England nennt man mich übrigens „Steve“, aber das geht zum Beispiel in meiner Band Cryssis nicht – weil wir da schon der Bassisten haben, der Steve heißt. Also heiße ich dort „George“.
Aber wenn du morgens aufwachst, weißt du, wer du bist?
Vom Ritchie: Das hängt immer davon ab, wer mich zuerst anruft (lacht).
1991 hast du das erste Mal Kontakt zu den Toten Hosen gehabt. Damals bist du spontan für den Schlagzeuger der Vorband eingesprungen. Wie war das?
Vom Ritchie: Ich habe damals in einem Kölner Kino gearbeitet. Als ich nach Hause kam, sagte meine Freundin zu mir: „Du musst in die Philipshalle kommen, der Schlagzeuger der Vorband hat sich den Arm gebrochen.“ Ich bin einfach sofort hingefahren und habe mir die Songs schnell beigebracht.
Wie viel Zeit hattest du?
Vom Ritchie: Eine halbe Stunde – so lang war das Set der Band übrigens auch. Und dann hörte mich Campino spielen – übrigens „Little Drummer Boy“ – und war begeistert. Er kam angerannt und sagte, dass er mag, wie ich spiele. So sind wir Freunde geworden. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Meine erste richtige Show mit der Band war übrigens im September 1999 – meinem Hochzeitstag. Das habe ich aber niemandem gesagt.
Lass uns noch einmal einen Blick zurück werfen. Du hast Wirtschaft studiert und in einer Versicherung gearbeitet. Wie konnte das passieren?
Vom Ritchie: Ich war nicht wirklich als Makler unterwegs, sondern habe im Hintergrund gearbeitet. Ich war Punkrocker, also wurde ich nicht auf die Vorderbühne gelassen. Wirtschaft habe ich zwei Jahre lang studiert – aber nur, weil es der Wunsch meiner Mutter war. Ich selbst wollte immer nur Musik machen. Als ich dann aber mit „Doctor & the Medics“ meinen ersten Hit hatte, hieß es – Tschüss, Versicherungsbranche.
Vor zwei Jahren wurde „Laune der Natur“ veröffentlicht, das letzte Jahr wart ihr fast durchgehend auf Tour. Nun stehst du mit Cryssis auf der Bühne und nimmst ein Album auf – brauchst du keine Erholung?
Vom Ritchie: Das ist meine Erholung. Mir wird sehr schnell langweilig, ich kann einfach nicht stillsitzen. Ich bin auch viel in meinem Studio und nehme Songs mit anderen Künstlern auf.
Du gibst auf der Bühne Vollgas – schon einmal beim Schlagzeug spielen verletzt?
Vom Ritchie: Oh, sehr oft. Ich erinnere mich noch an eine Show in Köln. Ich weiß bis heute nicht, wie es passieren konnte, aber der Aufbau des Schlagzeugs war ein kleines bisschen anders als sonst. Meine Hi-Hat hatte sich nach dem ersten Schlag ein wenig verstellt. Und wenn ich Schlagzeug spiele, dann gebe ich Gas und merke so etwas nicht. Nach einem harten Schlag prallte der Drumstick zurück und landete in meinem Auge. Die Hälfte des Konzerts konnte ich nichts sehen, mein Auge tränte. Als wir die Demos zu „Ballast der Republik“ aufgenommen haben, habe ich mir am Tag vor den Aufnahmen den Finger gebrochen – er war zwischen zwei Kegel-Kugeln eingeklemmt... Und einen Tag vor den richtigen Studio-Aufnahmen habe ich mir in einer Kellerbar in Unterrath den großen Zeh gebrochen, weil mir eine Bierflasche auf den Fuß gefallen ist.
Du bist es also gewohnt, verletzt zu spielen.
Vom Ritchie: Ja, das Adrenalin beim Spielen lässt einen den Schmerz vergessen. Das gehört dazu.
Seit zwölf Jahren bist du außerdem Chef des Musik-Labels „Drumming Monkey Records“. Ist das eine Art Altersvorsorge?
Vom Ritchie: Definitiv nicht – eher müsste ich einen weiteren Job annehmen, um das Label zu finanzieren (grinst). Man verkauft einfach nicht mehr viele CDs – so ist es halt.
Warum machst du es dann?
Vom Ritchie: Ich möchte kleinere Bands unterstützen und ihnen die Möglichkeit geben, zu veröffentlichen. Und außerdem will niemand die Musik, die ich außerhalb der Toten Hosen machen, auf den Markt bringen. Also habe ich es selbst in die Hand genommen (lacht). Es sind keine einfachen Zeiten, um Musik zu produzieren.
Aber gerade die Schallplatte ist doch auf dem Vormarsch.
Vom Ritchie: Ja, das schon. Aber das Ausmaß ist noch lange nicht so groß, wie es einmal war. In den Achtzigern konnte man 25 000 Alben an einem Tag verkaufen. Heute bin ich froh, wenn ich 1000 an den Mann bringe. Das heißt nicht, dass ich Streaming schlecht finde – ich nutze es selbst. Aber es sorgt einfach dafür, dass weniger Tonträger verkauft werden. Ich selbst liebe physische Tonträger – allein der Geruch in Plattenläden...
Welche Vorteile bietet dir Düsseldorf gegenüber dem kleinen Ort, an dem du aufgewachsen bist?
Vom Ritchie: Unter anderem haben die Pubs hier länger geöffnet. In England war immer um 23 Uhr Feierabend – und Live-Musik gab es auch nicht.
Du spielst mit Cryssis am Wochenende im Haus der Jugend. Dort bist du häufiger.
Vom Ritchie: Ich mag das Team. Dort wird sehr gute Arbeit geleistet. Vor allem haben junge Künstler dort die Möglichkeit, auf der Bühne zu stehen und zu zeigen, was sie können. Außerdem werden von dort aus viele Sozialprojekte gestartet. Und die Getränkepreise sind sehr gut.
Viele sagen, dass die Musikszene in Düsseldorf stagniert. Wie siehst du das?
Vom Ritchie: Es gibt schon viele gute Bands wie Kopfecho, Massendefekt oder die Buggs. Das größte Problem ist, dass es zu wenig Proberäume und kleine Clubs gibt. Gerade kleine Bands verdienen aber hauptsächlich Geld, indem sie auf Tour gehen. Es wäre schön, wenn die Politik mehr für die Kultur tun würde.
Letzte Frage: Welches war dein erstes Wort auf Deutsch?
Vom Ritchie: „Artikulationsschwierigkeiten“ und „Arbeitslosengeldempfänger“ (lacht).
Warum das?
Vom Ritchie: Ich konnte kein Deutsch, als ich hierher kam. Also habe ich immer den Satz gesagt „Es tut mir leid, ich habe Artikulationsschwierigkeiten“. Das war ein guter Einstieg, um ins Gespräch zu kommen. Und wenn die Leute mich gefragt haben, was ich mache, habe ich gesagt: „Ich bin Arbeitslosengeldempfänger.“ Das stimmte zu der Zeit ja auch (lacht).