Krankheitssymptome Die Panik vor der Schnupfennase
Düsseldorf · Die Regel, dass Kinder schon mit leichten Krankheitssymptomen nicht betreut werden dürfen, wird intensiv diskutiert.
Von Ines Arnold
Wann ist ein Schnupfen ein Schnupfen? Nie zuvor haben sich Eltern mehr für das Nasensekret ihrer Kinder interessiert und dessen Existenz, seine Färbung und Konsistenz zum Diskussionsmittelpunkt erhoben. Denn von ihm hängt ab, ob ein Kind in den Kindergarten, in die Großtagespflege oder zur Tagesmutter gehen kann. Kinder mit Krankheitssymptomen dürfen generell und unabhängig von der Art und Ausprägung der Krankheitssymptome nicht betreut werden, so lautet es in der Handreichung des Ministeriums. So soll eine weitere Ausbreitung des Covid-19-Virus vermieden werden. Die Umsetzung in der Praxis ist aber alles andere als einfach. Eltern, aber auch viele Erzieherinnen und Tagesmütter fühlen sich überfordert.
Vor sechs Wochen öffneten die Kitas nach knapp drei Monaten Corona-bedingter Schließung wieder. Das bedeutet aber nicht, dass alle Kinder auch seit dem 8. Juni wieder täglich in den Kindergarten gehen. Manja Leppins Tochter ist seit Montag wieder in der Kita, eine Woche lang war sie zu Hause. „Wegen eines Schnüpfchens“, betont ihre Mutter. In die Verlegenheit, das Kind wegen einer laufenden Nase ausschließen zu müssen, brachte die Mutter das Kita-Personal gar nicht erst. Die Sechsjährige blieb nach dem Wochenende gleich zu Hause. „Weil ich ja nun mal die Vorgaben kenne, habe ich es nicht auf eine Diskussion angelegt. Obwohl ich früher, vor Corona, niemals in Erwägung gezogen hätte, Mara in dem Zustand zu Hause zu lassen.“ Für Manja Leppin war die Betreuung aber unkompliziert zu regeln. Ihr Arbeitgeber ermöglicht ihr Homeoffice, Mara kann sich mit ihren sechs Jahren gut allein beschäftigen. „Ich frage mich aber wirklich, wie es Alleinerziehende oder Eltern regeln, die nicht im Homeoffice arbeiten können. Es gibt aber auch Kinder, die Förderung im Kindergarten dringend brauchen. Und wie soll es erst werden, wenn die Schule beginnt. Verpasst meine Tochter dann wegen einer laufenden Nase Schulstoff?“
Nicht nur Eltern sind mit der Situation überfordert. Viele Tagesmütter sind von der Regelung doppelt betroffen. Sie haben eigene Kinder und betreuen ihre Tageskinder in der eigenen Wohnung. „Wenn mein Kind krank wird, muss ich den fünf Tageskindern absagen“, sagt eine Tagesmutter. Und auch bei den Eltern der Tageskinder muss sie rigoros vorgehen. „Wenn das Kind einen Schnupfen hat, darf ich es nicht betreuen“, sagt sie. „So leid es mir für die Eltern tut: Ich muss mich strikt an die Vorgaben halten. Denn wenn was passiert, bin ich dran. Ich trage die Verantwortung.“
Vier von fünf Kindern musste sie in den vergangenen zwei Wochen abweisen und darauf bestehen, dass sie erst nach 48 symptomfreien Stunden wieder gebracht werden. Hinzu kamen die Tage, an denen die Tagesmutter wegen ihres eigenen Kindes ausfiel. Verständlicherweise seien die Eltern genervt, das Verständnis für das Vorgehen der Tagesmutter, sich streng an die Vorgaben zu halten, sei aber groß. „Der Frust richtet sich nicht gegen mich. Ich habe ein sehr gutes, vertrauensvolles Verhältnis zu den Eltern. Das hilft auch in dieser Zeit enorm.“
Wann ist die laufende Nase
ein Schnupfen?
Die 41-Jährige lässt sich auch nicht auf Diskussionen ein, welche Ausprägung der Schnupfen hat. „Natürlich rufe ich jetzt nicht die Eltern an, wenn das Kind was in die Nase bekommen hat und einmal niest, aber ansonsten bin ich schon sehr streng“, sagt sie. Denn auch die Eltern scannen morgens die einzelnen Kinder und reagieren regelrecht panisch, sollte an einer Nase ein Tröpfchen zu sehen sein. „Es ist gar nicht mal die Panik vor Covid-19. Es ist die Panik, dass sich das eigene Kind einen Schnupfen einfangen könnte und dann nicht in die Betreuung gehen kann“, sagt sie Tagesmutter, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ihre Kollegin, die eine Großtagespflege führt, ist hingegen etwas nachsichtiger. „Kinder müssen ihr Immunsystem erst aufbauen. Und eine laufende Nase gehört bei den meisten Kindern zwischen Herbst und Frühjahr einfach dazu“, sagt sie. Auch sie sei vorsichtig, „aber wenn ich sehe, dass nur mal die Nase läuft, alarmiere ich nicht sofort die Eltern“. Zu entscheiden „wann ein Schnupfen ein Schnupfen ist“, sei nervenzehrend. „Jeder Anruf bei den Eltern ist mit einem blöden Gefühl verbunden. Weil man weiß, was das für manche Eltern bedeutet, wenn das Kind wieder nicht betreut werden kann“, sagt sie. Durch den engen Kontakt mit den Eltern fühle man sich mehr verantwortlich. „In einer großen Kita ist das noch mal anders, da sind Vorgaben einfacher umzusetzen.“ Doch auch da habe sie zuletzt Probleme gehabt: „Meine Tochter kam nach einer Erkältung wieder in die Kita. Trotz Attest vom Arzt wollte die Kita sie zuerst nicht annehmen, weil sie noch etwas Schnupfen hatte“, erzählt sie. Auf Corona war sie aber nicht getestet worden. Die Situation sei für alle belastend. „Und es ist äußerst unbefriedigend, dass es keine Lösung gibt. Im Gegenteil. Die Erkältungszeit kommt erst noch. Wie soll das funktionieren?“
Auch Birgit Groß, Abteilungsleiterin der evangelischen Kindertageseinrichtungen, macht keine Hoffnung. Im Gegenteil. Weil auch das Personal bei leichten Krankheitssymptomen zu Hause bleiben muss, könnte es wegen Personalmangels zu verkürzten Betreuungszeiten kommen. „Die Frage, ob hinter dem Schnupfen eventuell Corona steckt, wird uns weiterhin begleiten.“