Interview Beate Plenkers-Schneider und Gregor Linßen „Glauben als Teil eines großen Festes erfahren“

Düsseldorf · Ein Gespräch über den Neustart, das Gemeinschaftserlebnis und die Rolle populärer Kirchenmusik.

Auf dem Stiftsplatz: Beate Plenkers-Schneider und der Kirchenkomponist Gregor Linßen mit Schals von vergangenen Kirchentagen. Sie ziehen seit Jahrzehnten Kraft aus den Veranstaltungen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Nach Absagen und Online-Formaten treffen sich von Mittwoch an Christen wieder zu einem großen Kirchentag mit Podiumsdiskussionen, großen Foren, Musik und Gottesdiensten. Seit Jahrzehnten mit dabei sind Gregor Linßen und Beate Plenkers-Schneider.

Viele Besucher schätzen die andersartige Atmosphäre der Kirchentage. Was reizt Sie an diesem religiösen Event?

Gregor Linßen: Vor allem die Gemeinschaft. Jeder macht etwas für jeden, man geht herum, schaut, was machen die anderen, was passiert auf den Bühnen. Man erhält Denkanstöße, auch zu der Frage, wie man Gottesdienste anders gestalten kann.
Beate Plenkers-Schneider: Ich nehme seit den 1980er-Jahren teil und kann sagen, dass ich von jedem dieser Treffen etwas in mir behalten habe. Man erlebt wie unterschiedlich Kirche sein kann und erweitert den Horizont.

Vor allem jüngeren Menschen erscheint der Alltag in den Ortsgemeinden nach einem Kirchentagserlebnis eher grau.

Plenkers-Scnneider: Ich vergleiche das gerne mit einem Urlaub. Auch dort erlebt man ganz andere, oft spannendere Dinge. Aber wenn es gelingt, etwas davon in den Alltag hinüberzuretten, kann es mein Leben positiv beeinflussen. Auf die Kirche gemünzt bedeutet das: Bleibt nur ein einziger Funke hängen, dann kann er die Kirche und den einzelnen Gläubigen durch den Alltag tragen.

Beim Stuttgarter Katholikentag, der am Mittwochabend startet, stehen Sie beide am Freitag im Hegelsaal auf der Bühne. Warum?

Linßen: Wir führen erstmals das von mir komponierte Oratorium „Die 7 Gaben“ in der großen Chorfassung auf. Es ist geschrieben als Friedensgebet für die Pfingstnacht und da gehört es hin. Aber für den Katholikentag machen wir eine Ausnahme und spielen eine Vorpremiere. Die eigentliche Uraufführung ist dann am 4. Juni in Gelsenkirchen. Neben einer zehnköpfigen Band ist das „Projektchor Alcanto“ und die Gruppe AMI dabei.
Plenkers-Schneider: Gemeinsam mit einigen anderen Düsseldorfern singe ich in diesem Chor und bin mit großer Begeisterung dabei. Eigentlich sollte das Stück bereits vor zwei Jahren aufgeführt werden. Doch dann kam Corona.

Wie viele machen jetzt mit?

Plenkers-Schneider: Die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Als das Projekt 2020 begann, wollten 120 Sänger und Sängerinnen mitmachen, im Moment sind es rund 45. Natürlich hat das auch mit Corona zu tun. Eine Intensivschwester aus unserem Chor sagte mir, sie wolle sich mit Blick auf ihre Patienten im Moment einfach noch zurückhalten. Das kann ich gut nachvollziehen und selbstverständlich muss man es respektieren.

Der Katholikentag ist ein Groß-Event mit mehreren Zehntausend Teilnehmern, da hat ein Virus leichtes Spiel.

Linßen: Die Pandemie ist noch nicht vorbei – auch wenn sich das für viele schon fast so anfühlt. Ich bin da bei den Aktionen, die ich zu verantworten habe, sehr strikt und sehr vorsichtig. Jeder, der beim Oratorium mitmacht, testet sich freiwillig vor einer Probe. Ich bin ein frei schaffender Kreativer und kann mir eine Infektion einfach nicht leisten. Und deshalb trage ich auch jetzt noch zum Beispiel beim Einkaufen Maske. Singen mit Maske geht natürlich nicht, aber deshalb wird auch direkt vor dem Konzert getestet.

Frau Plenkers-Schneider, Sie sind seit 40 Jahren bei fast allen Katholikentagen dabei gewesen – warum?

Plenkers-Schneider: Ich will das gerne an einem Beispiel erklären. Ganz besonders mag ich den Abend der Begegnung, der immer mittwochs vor dem eigentlichen Auftakt stattfindet. Beim Katholikentag in Leipzig 2016 gab es für diesen Abend eine nette Aktion. Man sollte einen Brotkorb kaufen, sich das Brot mit anderen teilen und so ins Gespräch kommen. Zu uns an den Tisch setzte sich ein Mann, er holte Wein, wir schnitten das Brot auf und redeten lange miteinander. Es war ein tolles Gespräch. Als er ging, sagte eine Freundin: ,Das war doch Wolfgang Thierse‘. Ich hatte ihn tatsächlich nicht erkannt, obwohl ich ihn im Fernsehen oder auf einem Podium sicher sofort identifiziert hätte. Und das lag an der Nähe und Vertrautheit, die in diesem Moment sofort und ganz unkompliziert möglich war.
Linßen: Hinzu kommt, dass ein Katholikentag einer der wenigen Orte ist, wo man Glauben öffentlich als Teil eines großen Festes erfahren kann.

Kommen denn auch kirchenkritische Themen zur Sprache?

Plenkers-Schneider: Da hat es glücklicherweise einen großen Wandel gegeben. In den 1980er-Jahren stand das noch nicht auf der Tagesordnung. Nicht zuletzt durch den Missbrauchsskandal hat sich das aber grundlegend geändert. Die Frage, wie sich Kirche reformieren muss, um nicht den Kontakt zur Basis zu verlieren, steht heute ganz oben auf der Tagesordnung. Und das ist gut so.

Trotzdem scheint die Anziehungskraft nachzulassen. Organisierte Fahrten werden von den Düsseldorfer Pfarrgemeinden kaum angeboten.

Plenkers-Schneider: Das ist so und es überrascht mich. Aber Tatsache ist, dass sich bei mir im Büro des Katholischen Gemeindeverbandes, in dem ich ja arbeite, eine ganze Reihe Leute mit der Frage gemeldet haben, wo sie sich denn anschließen könnten. Die hätten gerne an einer organisierten Fahrt nach Stuttgart teilgenommen. Etwas anders ist das bei den Verbänden. Ich selbst gehöre ja seit Jugendjahren der Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG) an und unser Verband ist bei den Kirchentagen immer vertreten.
Linßen: Ich bin seit Mitte der 1980er-Jahre immer als Musiker zu den Katholikentagen gefahren. Für die christliche Popularmusik ist die Anziehungskraft ungebrochen. Die Auftrittsmöglichkeit für Chöre und Bands, das Spielen wie das Zuhören, alles kann hier Inspiration sein.

Sie haben schon vor 30 Jahren für einen Katholikentag komponiert...

Linßen: Stimmt. 1992 habe ich die Ouvertüre für den Abschluss-Gottesdienst in Karlsruhe komponiert. Ich bekam den Auftrag die neu gegossenen Kirchenglocken in die Ouvertüre einzubauen. Das war eine spannende Arbeit. Überhaupt: Von Kirchentagen gehen immer neue Anregungen aus. Regelmäßig Musik im Gottesdienst zu machen, sollte man als Chance betrachten. Nicht von ungefähr sind viele Größen der Popmusik im Gospel-Bereich groß geworden. Vielleicht entsteht ja gerade bei einem solchen Treffen der Impuls mit anderen Musikern eine Pfarrband aufzumachen.
Plenkers-Schneider: Das kann ich nur unterstreichen. Seit ich in Gregors Projektchor mitsinge, ist der Katholikentag für mich noch spannender geworden.

(jj)