Wenn ich den Geist der Stadt suche…

Düsseldorf hat das Zeug dazu, auch für seine Street-Art Bekanntheit zu erlangen. Dafür müsste man lernen, die Stadt auch in ihrer Hässlichkeit zu lieben.

Düsseldorf. Alle Städte haben eine Identität, einen Geist und ein Gedächtnis; sie alle sind sehr wichtig, um die Stadt kennenzulernen und zu verstehen. Städte haben einen besonderen Charakter, wie Menschen. Die Natur, das Klima, die Leute die Geschichte, die Bauten, alle geben der Stadt einen Charakter, der den Geist der Stadt repräsentiert. Die Bedeutung, die der Mensch der Stadt hinzufügt, stellt die Identität und den Geist der Stadt dar. Zwischen beiden gibt es eine Wechselbeziehung.

(Ersin Dalgar)

Ich bin vor zwei Jahren zum ersten Mal nach Düsseldorf gekommen. Damals habe ich darüber nachgedacht, in Düsseldorf zu leben, deshalb wollte ich Düsseldorf erst kennenlernen. Der Anfang war tatsächlich nicht schön. Düsseldorf hat mich am April mit anormaler Kälte begrüßt. Eigentlich hatte ich niemals vor dem kalten Wetter Angst, sondern vor der Kälte der Menschen, als ich darüber nachdachte, nach Deutschland zu ziehen.

Jetzt lebe ich seit fast einem Jahr hier. Nachdem ich nach Düsseldorf gezogen bin, wollte ich diese Stadt entdecken. Wie sieht Düsseldorf aus meiner Perspektive aus? Ich erzähle es euch. . .

Ich komme aus Istanbul. Man verbindet die extremsten Gefühle mit Istanbul. Zwischen Liebe und Hass besteht nur eine dünne Linie und man fragt sich oft: „Soll ich Istanbul lieben oder hassen?“ Das fühlt man in Düsseldorf nicht. Düsseldorf ist eine „Slow City“. Das macht Düsseldorf jedoch nicht unbeliebt, im Gegenteil: Düsseldorf wird im internationalen Vergleich als eine Stadt mit sehr hoher Lebensqualität wahrgenommen, das kann man leicht verstehen, wenn man nur kurz in Düsseldorf lebt. Düsseldorf hat seine eigene Ruhe. Ich meine nicht nur die Ruhe oder Stille. Am Rhein weht diese Ruhe einem als Wind ins Gesicht. Der Grafenberger Wald wenige Kilometer vom Zentrum entfernt, lädt zum entspannten Spazieren ein. Selbst am Rhein kann man — obwohl Düsseldorf das Meer fehlt — unter seinen Füßen Sandstrand spüren. Man hat das Gefühl, nur das Heulen eines Martinshorns kann diese Stille durchbrechen. Zwei lautstarke Spektakel hat Düsseldorf allerdings zu bieten: Zu Karneval bekommt die Stadt ein lustiges und buntes Gesicht. Und in den Sommermonaten geben die Junggesellenabschiede, die am Wochenende in der Altstadt zu sehen sind und die für die Einheimischen mittlerweile sicher langweilig und unattraktiv sind, eine schrille Abwechslung.

(Die Häuser an der Kiefernstraße beeindrucken besonders.)

Mein Abenteuer in Düsseldorf hat so begonnen: Nachdem ich mich zunächst wie ein Tourist in der Stadt bewegt habe, wollte ich auch die anderen Seiten entdecken. In den verschiedenen Stadtteilen sind mir immer wieder Wandbilder ins Auge gefallen. Konzentriert findet man diese Bilder auf den Fassaden der Häuser in der Kiefernstraße. Sobald ich diese Straße kennengelernt hatte, war ich fasziniert, weil mir all die bunten Darstellungen ein so anderes Bild von Düsseldorf vermittelt haben: Die Frage, „Wem gehört die Stadt?“, findet sich auf Wänden an vielen Orten in der Stadt. Eine Antwort wird eigentlich nicht nur in Düsseldorf, sondern überall auf der Welt gesucht. Ich habe die Frage verfolgt und wollte irgendwann wissen: „Wem gehört die Frage?“.

Künstler Klaus Klinger habe ich kennengelernt, als ich etwas über die Seele der Stadt schreiben wollte. Wir hatten die Gelegenheit, hierüber und über Wandkunst in unserer Stadt Düsseldorf zu sprechen.

Die Sprache der Straße: Wandbild-Klaus und seine Freunde beschäftigen sich seit 40 Jahren mit Wandkunst, um den Straßen und den dreckigen, seelenlosen Wänden in der Stadt einen Sinn zu geben. Sie haben dafür Farbfieber e.V. gegründet. Klaus hat nicht nur in Düsseldorf die Wände bemalt, sondern auch weltweit. Als Student hat er mit seinen Freunden begonnen, Wandbilder zu machen. Noch immer würden er und seine Freunde eine Antwort zur zentralen Frage „Wem gehört Stadt?“ suchen: Und diese Frage malen sie auch auf Wände.

Ist Wandkunst nicht auch ein Ausdruck von Protestkultur?“, fragte ich, „Ja, auch“, antwortete Klaus. „Es ist nicht nur Protest, aber es ist auch Protest gegen bestehende Borniertheit. Gegen Rassismus, gegen den Krieg gegen die globale Erwärmung und und und. Das war lange Zeit so, Malerei war ein Ausdruck von sozialen Bewegungen.“ Mittlerweile habe sich das geändert: Weil Street-Art gerade in Mode sei, kämen aktuell viele Künstler auch aus der Graffiti-Szene. Die sei eher nicht politisch, was sich auch in ihren Bildern zeige. Man sehe eher schöne Frauen auf den Hauswänden und alles Mögliche.

Worüber soll man Düsseldorf definieren? Manche Städte gewinnen an Bedeutung mit ihrer Geschichte, manche mit ihrer Natur, manche mit einem (oder mehreren) Gebäude(n), andere mit einer bestimmten Aktivität: Und womit soll man Düsseldorf assoziieren? Mit der Kö? Mit dem Karneval? Oder mit einer Überraschung — der Kiefernstraße?

Ich weiß nicht, ob Düsseldorf die Bezeichnung „Modestadt“ von Paris oder Mailand übernehmen kann. Oder ob die Stadt sich als eine der wichtigsten Messestädte weltweit etablieren kann. Ich habe den Eindruck, dass Düsseldorf die Möglichkeit, als eine Stadt der freien Straßenkunst wahrgenommen zu werden, links liegen lässt. Die Kiefernstraße schreit quasi mit ihren bunten Wänden, „Ich bin ganz anders!“, im Gegensatz zu den übrigen Teilen der Stadt. Die Straße trägt eine Spur von Protestgeschichte als Kunst auf ihren Wänden. Die Straße ist heute sehr populär, und auch viele Touristen besuchen sie um dort zu fotografieren. Düsseldorf ist noch nicht „Street-Art-City“ bekannt, aber dieses Potential blitzt auf und scheint zu sagen: „Ich bin da, ich bin die Wahrheit“.

Die Wände haben eine Sprache, sie sprechen mit Menschen. Nur von den Höhlenwänden bis zu den heutigen Gebäudewänden änderte sich der Dialekt der Sprache. Die Wände sind Zeitzeugen. Wenn man nach Kreuzberg in Berlin oder nach Beyoglu in Istanbul reist, begrüßen einen hässliche Straßen und Gebäude, aber sie haben einen solchen Geist, dass man sich in diese Städte verlieben kann. In der Türkei gibt es eine sehr bekannte Geschichte: „Leyla und Mecnun“. Einmal wurde Mecnun gefragt: „Leyla ist eigentlich hässlich, wie kannst du sie so lieben?“ Mecnun antwortete: „Ihr müsstet sie einmal mit meinen Augen sehen, dann könntet ihr mich verstehen.“ Also: Um eine Stadt zu lieben und um bei ihr einen Geist zu finden, sollte man sie vielleicht wie Mecnun sehen.

Als Fazit zitiere ich den bekannten türkischen Autor Ahmet Hamdi Tanpinar: „Eine Stadt zu lieben, ist die Suche nach einem Grund, um zu lieben.“ Haben Sie einen Grund? Dann ist der Geist der Stadt bei Ihnen! Lieben Sie ihn!