Woche 11: So läuft es im Home-Office mit Kindern in Corona-Zeiten Vorbereitungen auf die Rückkehr in ein Leben mit gleichfarbigen Socken
Düsseldorf · Diese Woche geht es für zwei der drei Kinder zurück in die Kita. Bis dahin sollten sich passende Sockenpaare noch finden lassen.
Jeder Journalist kann sich daran erinnern, wie ihm der erste Artikel um die Ohren geflogen ist. An die scharfe Kritik seines Mentors, die man als vermeintliche Edelfeder so gar nicht hat kommen sehen – schließlich hatte man doch die Deutschlehrerin in so vielen Jahren so auf seiner Seite gehabt. Ich erinnere mich noch genau daran, wie mein damaliger Chefredakteur die aus dem Drucker geklaute, halb beschriebene Zeitungsseite mit hochrotem Kopf auf meinen Schreibtisch pfefferte und mir nachhaltig austrieb, jemals wieder eine Plattitüde zu verwenden. Ich hatte damals, in der Annahme, dass es sicher jung und dynamisch und keinesfalls nichtssagend und einfältig ankommen wird, Sängerin Pink nachgesagt, sie wisse sich ständig neu zu erfinden. Recht hatte mein Chefredakteur. Das wusste ich schon, sobald sich seine – und auch meine – Gesichtsfarbe neutralisiert hatten. Eine abgedroschene Phrase zu verwenden, weil sie nun mal irgendwie nach was klingt, ohne selbst zu wissen, was man eigentlich damit aussagen will, ist natürlich eher naiv als jung und dynamisch. Mir kam diese Floskel nie wieder über die Lippen. Heute, knapp zwölf Jahre später, kommt sie mir aber wieder in den Kopf. Noch immer weiß ich nicht wirklich, was sie eigentlich meint. Aber irgendwie scheint sie mir in den Kontext dieses ganzen Corona-Krise-Wahnsinns am ehesten zu passen.
Wenn ich den Ausdruck „sich neu erfinden“ bei Google News eingebe, werde ich bestätigt. Es scheint, als müsse sich in der Corona-Krise alles und jeder „neu erfinden“. Schule, Kirche, Gastronomie, Tourismus. Die Bundesliga, die Turngemeinschaft in Kirchheim, die Berliner CDU. Die Eltern haben es in dem Zusammenhang bislang in keine Schlagzeile geschafft. Dabei hätten wir einen Platz in der Reihe locker verdient. Zumindest wenn „sich neu erfinden“ meint, feste, gewohnte Strukturen aufzubrechen und sich einer neuen Situation anzupassen, sich dabei zu hinterfragen und immer wieder nachzusteuern und weiter an sich zu arbeiten.
Neu war die Situation in den vergangenen zehn Wochen, das steht außer Frage. Wie sehr wir uns angepasst haben, wie oft wir nachjustiert und gegengesteuert haben, ist in jeder einzelnen Kolumne nachzulesen. Und jetzt, endlich, sehen wir uns der nächsten Veränderung gegenüber: Der Öffnung der Kindergärten. Als Familienminister Stamp die Nachricht in einer Pressekonferenz verkündete, hing ich an seinen Lippen. Während ich in einem Zustand der Euphorie noch darüber nachdachte, ob Joachim nicht deutlich attraktiver ist als sonst, hörte ich im Haus gegenüber einen Sektkorken knallen. Mein Handy vibrierte in einer Tour, im sonst so anständigen Kita-Chat wurde Alkohol für alle gefordert, ein Freund, Vater von zwei hyperaktiven Jungs, brachte seine Freude mit Wörtern zum Ausdruck, die ich hier nicht schreiben darf.
Es ist schon ein komisches Gefühl, dass zwei meiner drei Kinder als Vorschüler schon am Donnerstag wieder in der Kita sein werden. Fast werde ich ein bisschen sentimental. Okay, schon vorbei – meine Tochter erinnert mich in diesem Moment in ihrem unverkennbaren Winselton daran, dass die Vorteile überwiegen. Ich habe dennoch das Gefühl, als müsste ich noch einige Vorbereitungen treffen, bevor ich die Kinder zurück in die Zivilisation schicken kann. Etwa die verfilzte untere Haarschicht ausbürsten, die obere Hautschicht abschrubben oder endlich mal wieder zueinander passende Sockenpaare zusammensuchen. Zumindest optisch werden sie sich dann wieder gut in ihre Umgebung einfügen. Was das Sozialverhalten angeht, habe ich meine Bedenken. Mit meinen Bemühungen der sanften Resozialisierung bin ich bisher nämlich kläglich gescheitert. Allein auf dem Spielplatz hatten meine Kinder jede Menge Spaß, sobald aber ein anderes Kind auftauchte, klammerte sich mindestens eins meiner Kinder an mein Bein und beobachtete das unbekannte Wesen argwöhnisch aus der Ferne. Ich habe die Befürchtung, dass meine Kinder mit ihren Anpassungsschwierigkeiten am Donnerstag dem jungen Brendan Fraser aus dem Film Steinzeit-Junior alle Ehre machen werden.
Auch wenn der Kleinste uns noch bis zum 8. Juni zu Hause Gesellschaft leisten wird, denke ich schon über meine Rückkehr in die Zivilisation nach. Keinen meiner Vorsätze für die „Corona-Ferien“ (ein unsäglicher, weil so unpassender Begriff) habe ich umgesetzt. Dabei war die Liste in meinem Kopf lang, und quasi jede Nacht, wenn die Kinder im Bett lagen, die Texte geschrieben waren und die Spülmaschine so befriedigend surrte, erweiterte ich sie um mindestens drei To-dos. Ich nahm mir vor, einige Wände zu streichen, die mittlerweile durch die vielen Finger- und Fußabdrücke aussehen wie bei unserem Einzug. Damals hatte ich fassungslos davor gestanden und überlegt, in welcher Verfassung man wohl sein muss, um das als „mediterrane Wischtechnik“ zu bezeichnen. Ich wollte endlich Game Of Thrones ansehen, um mitreden zu können. Nicht mal die erste Folge habe ich geschafft. Und auch das Thema Sport stand immer auf der Liste und rutschte jedes Mal höher, wenn mir Facebook-Freunde wieder ihre (angeblich) gelaufenen Kilometer unter die Nase rieben. Das Einzige, das ich in dieser Hinsicht konsequent eingehalten habe, ist das Befüllen meiner Sportflasche, um abends Wasser am Bett stehen zu haben.
Am Ende dieses Textes müsste ich wohl die Frage stellen, ob ich mich in der Corona-Krise neu erfunden habe. Und meine Antwort lautet: Nein. Nicht nur aus Respekt meinem damaligen Chef gegenüber. Ich bin noch die alte, ich habe mich nicht neu erschaffen. Ein bisschen gealtert, ein bisschen weiser, zwei Kilo schwerer – ja, das schon. Ich nenne das aber eher Kollateralschaden der Corona-Krise. Vielleicht hat mir für dieses „sich neu erfinden“, was auch immer das wirklich bedeuten mag, schlicht die Zeit gefehlt.