Zivis verzweifelt gesucht
Mangel: Sie sollen Alte pflegen, Kinder unterhalten oder Essen ausfahren – die Zivis. In Düsseldorf gibt es sie immer seltener.
Düsseldorf. Der Empfang ist herzlich. "Dann komm’ erstmal rein", strahlt Sigrid Eickhoff. Die Seniorin hat sich auf diesen Vormittag gefreut. Für neun Uhr hat sich Sebastian Leko angesagt. Der 23-Jährige ist Zivildienstleistender bei der Caritas. Als solcher hilft er der Seniorin aus Rath bei all jenen Alltagsaufgaben, die sie nicht mehr allein bewerkstelligen kann. Zum Beispiel Einkaufen. "Ich komme nicht mehr aus der Wohnung", sagt Sigrid Eickhoff und schaut auf ihren Rollstuhl. Auf einem kleinen Zettel hat sie aufgeschrieben, was Sebastian für sie besorgen soll. Der nickt und begibt sich auf die Einkaufstour. "Ohne die Unterstützung durch die jungen Männer wäre ich aufgeschmissen", sagt Sigrid Eickhoff.
Auch Leko ist für die Aufgabe dankbar. Denn für ihn ist sie Ersatz für den Bundeswehrdienst, der für junge Männer in seinem Alter eigentlich angesagt ist. Genauso wie für Tim Siebenmorgen. Auch er hat den Dienst an der Waffe verweigert. Des Gewissens wegen, wie es in Deutschland noch immer vorgeschrieben ist. Siebenmorgen muss jetzt also keine Panzer fahren, sondern betreut Senioren im Dorothee-Sölle-Haus. Damit ist er, wie Leko, in Düsseldorf eine Ausnahme. Denn immer weniger Männer leisten ihren Wehrersatzdienst.
Rüdiger Löhle vom Bundesamt für Zivildienst kennt das Problem. 248 Anbieter für Zivistellen gibt es in Düsseldorf. Diese bieten 907 Stellen an. "Aber nur 227 davon sind besetzt", sagt Löhle. Das heißt: nicht mal jeder Träger bekommt im Schnitt überhaupt einen Zivildienstleistenden.
Zum Beispiel viele Einrichtungen der Diakonie. 63 Zivildienststellen gibt es dort, 19 davon sind besetzt. "Geburtenschwache Jahrgänge, die Einberufungspraxis der Bundeswehr - es gibt viele Gründe", sagt Diakonie-Sprecher Christoph Wand. Er weiß noch nicht so recht, ob er die Zivi-Flaute bedauern soll. "Seitdem der Zivildienst auf neun Monate verkürzt wurde, bringen nur die richtig motivierten jungen Leute etwas - der Rest ist nicht wirklich hilfreich", sagt Wand.
Denn wenn von neun Monaten Dienstzeit bis zu zwei Monate für Fortbildungen und Urlaub wegfallen, braucht die Einarbeitung fast länger als der tatsächliche Dienst. Dennoch reißen die unbesetzten Zivistellen Lücken. "Wir versuchen das über unseren Pool ehrenamtlicher Mitarbeitern aufzufangen", sagt Wand.
Langfristig aber machen sich Träger wie die Diakonie Gedanken, wie der Zivi-Mangel ausgeglichen werden kann. Bürgerarbeit, also ein staatlich geförderter dritter Arbeitsmarkt, wäre eine Lösung. Ein erster Schritt dahin ist schon an vielen Stellen in der Stadt gemacht. "Seitdem es 1-Euro-Jobber gibt, übernehmen diese immer mehr Aufgaben, die früher Zivildienstleistende erfüllt haben", sagt Awo-Sprecher Helmuth Haensch, der ebenfalls einen Rückgang der Zivis bemerkt.
Das ist nicht überall so. Es gibt Bereiche in denen sich junge Männer nach wie vor gern engagieren. "Wir kennen das Problem nicht", sagt Caritas-Sprecherin Melanie Schmidt. "Für unsere individuelle Schwerstbehindertenbetreuung nimmt die Zahl der Bewerber sogar zu."
Ursache Hauptproblem für den Zivildienst ist die Verkleinerung der Bundeswehr. Immer weniger junge Männer werden zum Wehrdienst eingezogen, weil das Militär kaum noch Wehrdienstleistende sucht. Wenn weniger junge Männer eingezogen werden, gibt es auch weniger, die ihren Dienst an der Waffe verweigern und für den Zivildienst in Frage kommen. Experten schätzen, dass nur noch 50 Prozent eines Jahrgangs überhaupt einen Einberufungsbescheid erhalten.
Zukunft Die Lage wird wohl nicht mehr besser. Je umstrittener die Wehrpflicht in der Bevölkerung wird, desto ungewisser ist auch der künftige Bestand des Zivildienstes.
Alternativen Die Ideen für mögliche Alternativen in der Diskussion sind reichhaltig. Sie reichen von Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahren für junge Männer und Frauen, bis hin zu staatliche geförderter Bürgerarbeit für Langzeitarbeitslose.
Der Zivildienst hat lange gute Dienste geleistet. Jetzt ist er ein Auslaufmodell. Angesichts der politischen Großwetterlage ist das seit Jahren klar, die Zahlen untermauern es. Je mehr die Bundeswehr zur international geforderten Kampftruppe wird, desto mehr braucht sie Profi-Soldaten - und nicht Wehrdienstleistende. Das verringert auch die Zahl der Zivis: Nur wer einberufen wird, muss den Militärdienst verweigern. Deswegen müssen Alternativen her. Kombilohn oder Freiwillige Soziale Jahre sind richtige Ansätze. Denn Dienstleistungen, die Zivis erbringen, sind in einer älter werdenden Gesellschaft eher mehr als weniger gefragt.