Düsseldorfer Nacht der Wissenschaft Wie der Algorithmus das Gehirn enträtselt

Düsseldorf · In Düsseldorf wird am Nutzen der Künstlichen Intelligenz für die Medizin geforscht. Aber der Arzt ist nicht außen vor.

Das menschliche Gehirn: Es gibt einen gemeinsamen Bauplan, aber abhängig von der Genetik und den individuellen Erlebnissen vom Mutterleib an auch eine große Unterschiedlichkeit.

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Wenn Simon Eickhoff vom menschlichen Gehirn erzählt, vergleicht er es gerne mit Autos. Es gibt eine gemeinsame Grundstruktur, aber am Ende unterscheidet sich ein Twingo eben doch deutlich vom Ferrari. Beim Gehirn sei es ganz ähnlich. Wissenschaftler wie er nennen das individuelle Varianz.

Was den Leiter des Instituts für Systemische Neurowissenschaften der Heinrich-Heine-Universität (HHU) Düsseldorf nun besonders interessiert: „Können wir systematische Bezüge zwischen der Variabilität des menschlichen Gehirns und der menschlichen Eigenschaften finden?“ Werden solche Muster entdeckt, bilden sie die Basis, um mittels Künstlicher Intelligenz (KI) Eigenschaften neuer Personen vorhersagen zu können.

Eickhoff ist Arzt. Seine Forschung soll der KI den Weg in die Medizin ebnen. Beispiele für den denkbaren Nutzen fallen ihm viele ein. Schwierigkeiten auf dem Weg dahin auch. So könnte es von Nutzen sein, anhand von Gehirnaufnahmen eine Altersschätzung der Person vornehmen zu können. Schon jetzt sind die Algorithmen gut genug, um das Alter mit einer Schwankung von vier Jahren zu bestimmen.

Simon Eickhoff leitet das Institut für Systemische Neurowissenschaften.

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Das Gehirn sieht älter aus,
als der Patient ist

Relevant wird das, wenn man weiß, dass der Computer Gehirne von Parkinson-Patienten älter schätzt, als die Menschen tatsächlich sind. Das könnte bei der radiologischen Beurteilung der Zukunft ein künftiger Kernbaustein werden. Liegt das Programm mit seiner Altersschätzung daneben, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Nervenzellen im Gehirn unheilbar erkrankt sind, weil das Gehirn älter aussieht, als der Patient tatsächlich ist.

Noch ist es nicht so weit. Noch funktioniert das Ganze verlässlich nur im gut kontrollierten Forschungsumfeld, „aber noch nicht in der der klinischen Anwendung“, sagt Eickhoff. „Darum wollen wir auch schlechte Daten, nicht nur die schönsten.“ Erst wenn die Algorithmen in Verbindung mit der MRT-Aufnahme des Gehirns auch dann noch verlässliche Ergebnisse liefern, wenn sie dem medizinischen Alltagsgeschäft ausgesetzt sind, haben sie ihre Praxistauglichkeit bewiesen.

Überhaupt die Praxistauglichkeit. Der Düsseldorfer Forscher sieht die KI in der Medizin vor einer zentralen Herausforderung: Denn am Ende muss das Ergebnis akzeptiert werden – vom Arzt wie vom Patienten. Aber kann das funktionieren, wenn die Algorithmen aus einer unübersehbaren Menge von Rohdaten heraus beispielsweise direkt eine Therapieempfehlung entwickeln?

Die Reduktion der Daten
ist unerlässlich

Eickhoff glaubt das nicht. Daher gehört er zu den Vertretern eines Zwischenschritts. Die komplexen Daten, davon ist er überzeugt, müssen erst reduziert werden auf verständliche, nachvollziehbare Aussagen. „Denn am Ende hält der Arzt den Kopf hin. Das Rezept unterschreibt er.“ Die Frage ist, wie vereinfacht die Datensätze werden dürfen und wie komplex sie bleiben müssen. „Aber wir werden es nicht erleben, dass der Algorithmus endgültig die Diagnose stellt, auf deren Basis dann die Behandlung beginnt.“ Der Mensch wird nach Meinung des Professors irgendwo an entscheidender Stelle in der Schleife bleiben.

Schließlich ist die Frage auch noch nicht geklärt: Wie sicher wollen wir eigentlich genau sein? Ist es für unsere Entscheidung, uns für oder gegen eine medizinische Therapie auszusprechen, wichtig, dass uns der Computer eine 67-prozentige Erfolgsgarantie verspricht? Oder hilft es uns nicht viel eher, wenn der Arzt unseres Vertrauens sagt: „Ich würde Ihnen wirklich dazu raten“? „Wahrscheinlich trauen wir am Ende doch nur uns selbst“, sagt Eickhoff. Die KI muss sich ihr Vertrauen in der Medizin jedenfalls erst noch erwerben.

Auch ein begehbares menschliches Gehirn zum Aufblasen wird bei der Nacht der Wissenschaft am 13. September in Düsseldorf zu sehen sein.

Foto: Anna Geiger

Dabei suggerieren die großen Firmen wie Apple oder Google über den Umweg Wellness und Fitness, die Anwendung smarter Daten im klinischen Bereich sei längst Alltag. Eickhoff sieht das anders. Zwar sind über die Bewegungssensoren in Smartphones oder Smart-Watches relativ genaue und dauerhafte Aufzeichnungen möglich: Wie bewegt sich der Patient? Wie steht er? Zittert er? Wie groß ist sein Bewegungsradius? Eine brauchbare Auswertung könnte beispielsweise bei Parkinson-Patienten zu deutlich hilfreicheren regelmäßigen Arztgesprächen führen. Aber auch hier gilt: „Wir müssen erst einmal die Rohdaten runterbrechen auf wenige Zahlen, die dann klinisch auswertbar sind.“

An diesem Punkt steht die Forschung derzeit: Was kann man machen? Und was davon ist sinnvoll? In der Düsseldorfer Nacht der Wissenschaft am 13. September gehören Eickhoff und sein Team zu den vielen Forschern und Einrichtungen, die einen Einblick in ihr Tun gewähren wollen. In ein Auto kann man sich dabei nicht setzen. Aber in ein (aufblasbares) Gehirn spazieren. Und das ist ja fast vergleichbar.