Alte Bibel übergeben Paar verschenkt „Familienschatz“

Meerbusch/Düsseldorf · Karla und Wulff Bickenbach haben eine außergewöhnliche Bibel an die Johanneskirche übergeben. Gekauft wurde sie 1728, auch bei der Flucht aus Oberschlesien nach dem Zweiten Weltkrieg ging das schwere Exemplar nicht verloren.

Wulff Bickenbach (l.) und seine Frau Karla haben ihre Lutherbibel der Johanneskirche geschenkt. Pfarrer Gert Ulrich Brinkmann nahm sie entgegen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Fast 300 Jahre lang war sie im Besitz der Familie, wurde weitergereicht von Generation zu Generation: eine Lutherbibel. Jetzt aber haben Wulff Bickenbach und seine Frau Karla sie der Johanneskirche geschenkt. Bickenbach – heute 82 Jahre alt – erklärt, warum: Da die Ehe kinderlos geblieben sei – wie auch die seiner fünf Jahre jüngeren Schwester – ende die Familienhistorie. Verkaufen und in fremde Hände geben, wollten sie die Bibel aber nicht. Da kam ihnen die Idee einer Schenkung.

Die Johanneskirche haben die Bickenbachs ausgesucht, weil es eine Kirche sei, die in vielerlei Hinsicht im Mittelpunkt stehe, die von vielen Menschen besucht werde – nicht nur von Gläubigen. Dem Ehepaar aus Meerbusch gefällt die Vorstellung, dass viele Menschen sich diese Bibel nun anschauen können.

Auf den Einbandseiten vorne ist handschriftlich notiert, wer die Bibel gekauft und wer sie in der Familie seither besessen hat. Der Name von Wulff Bickenbach ist dort zuletzt aufgelistet. Der erste Eintrag nennt einen „Sebald“ oder „Sebold“. „Das ist letztlich nicht zu entziffern, aber irgendwann erscheint der Familienname als Sebold.“ Datiert ist der Kauf auf das Jahr 1728. Verbrieft ist es nicht, aber seine Mutter habe stets erzählt, so berichtet Wulff Bickenbach, dass die Bibel nicht mit Geld bezahlt worden ist, nicht in Talern und Groschen. Es sei vielmehr ein Tauschgeschäft gewesen. Gegen einige Kühe oder Schweine habe man die Bibel dann bekommen.

Vollständig gelesen haben die Bickenbachs ihre Bibel nie. Sie geben dieses Exemplar nun gerne weiter.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Das Buch der Bücher ist bereits seit einigen Monaten in der Johanneskirche untergebracht. Zuvor hatte Wulff Bickenbach das Familienerbstück restaurieren lassen. Ein Teil der ersten Seiten ist weiterhin deutlich dunkler, da sie einmal feucht geworden sind. Aber ansonsten ist die Bibel in einem guten Zustand, ist komplett leserlich, wenn man sich an einige alte Schreibweisen wie der des großen „S“ gewöhnt hat. Eingebunden in dickem, derbem, mittlerweile verwittertem Leder, groß wie ein Atlas, aber deutlich dicker, wiegt sie einige Kilogramm.

Ganz gelesen haben die Bickenbachs die Bibel eigentlich nie, eher gelegentlich darin geblättert. „Aber ich vermisse sie schon“, sagt Wulff Bickenbach. Sie ist schließlich mit den frühesten Erinnerungen des gebürtigen Düsseldorfers verbunden. In Kindertagen gab es etwa in der Vorweihnachtszeit immer dieses Ritual: Der Großvater nahm die Bibel aus dem Schrank, setzte sich in einen Sessel, die Bibel auf den Knien und las dann die Weihnachtsgeschichte vor.

Bei jedem Umzug der Familie
ist die Bibel dabei

Die ersten Seiten sind feucht geworden und deshalb dunkler.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Auch Karla Bickenbach kann sich nur schwerlich mit der Leerstelle anfreunden, die nun im heimischen Wohnzimmerregal entstanden ist. Sie erinnert sich gut an die ersten Besuche bei den künftigen Schwiegereltern. Sie erblickte die Bibel sogleich. Sie lag immer an einer besonderen Stelle, stand nie aufrecht, nahm natürlich viel Platz ein. „Das dicke Ding“ war immer da, sagt die 83-Jährige.

Die Bickenbachs wohnen heute in Meerbusch, die Vorfahren von Wulff Bickenbachs Mutter aber lebten zunächst in Homberg an der Efze, einer Kreisstadt in Nordhessen. Dort wird die Bibel letztlich über Jahrhunderte in der Familie vererbt. Irgendwann ist sie im Besitz von Bickenbachs Großmutter mütterlicherseits, Maria Sebold. Damit beginnt eine wahre Odyssee. Die Großmutter heiratet 1910 in Stuttgart den Ingenieur Theodor Baader und bringt die Bibel mit in die Ehe. Beruflich verschlägt es die Familie nach Paris bis 1914. Mit Ausbruch der Ersten Weltkriegs verlässt das Paar fluchtartig Frankreich, zieht zunächst wieder nach Stuttgart, wo im gleichen Jahr Bickenbachs Mutter zur Welt kommt. Es folgen Umzüge nach Frankfurt, schließlich nach Isernhagen bei Hannover. Die Bibel ist immer dabei.

1937 heiratet Bickenbachs Mutter Karl Bickenbach aus Remscheid. Das junge Paar zieht nach Düsseldorf, wo Wulff Bickenbach 1942 zur Welt kommt. Der Vater arbeitet in den 1940er-Jahren bei Mannesmann, 1943 wird er zu einer Stahl-Firma nach Oberschlesien, im heutigen Polen, versetzt. Im Januar 1945 flieht die Mutter zunächst nur mit ihrem Sohn Wulff vor der heranrückenden Roten Armee. Sie erwischt einen der letzten Züge nach Berlin. Vieles muss sie überstürzt zurücklassen. Die Bibel, die sie damals schon nach Oberschlesien hatte mitnehmen dürfen, aber nicht.

Karla Bickenbach findet das heute noch erstaunlich, dass ihre spätere Schwiegermutter, allein unterwegs, mit dem kleinen Wulff auf den Arm sich die schwere Bibel auch noch aufbürdete. „Sie hat das getan, weil die Bibel wohl unser Familienschatz war“, sagt Wulff Bickenbach, „aber auch als eine Art göttliche Reiseversicherung“. Alle gelangen unversehrt in den Westen, Bickenbachs Vater schafft es später, sich zu Fuß durchzuschlagen.

Die besondere Bibel wird jetzt für alle sichtbar am Martin-Luther-Platz in der Düsseldorfer Johanneskirche gezeigt. Dort ist sie nun in einer Vitrine zu sehen.

(koh stz)