Ein Jahr danach Wie es der Anakonda aus dem Latumer See geht
Brüggen · Im August 2018 hielt die Würgeschlange Lank-Latum in Atem. Im Tierpark Brüggen ist sie seither einer der Besucherlieblinge.
Der lange schwarz-gelb marmorierte Leib liegt aufgerollt wie auf einer Spule komplett im Wasser. Der Kopf aber ruht direkt unterhalb der Glaswand, reagiert auf jede Regung vor dem Terrarium und folgt seinem Betrachter mit weichen Bewegungen. „Selbst für eine Anakonda ist sie ganz schön zickig“, sagt Stephan Kerren, Chef des Tierparks in Brüggen. Sie ist einer der prominentesten Bewohner seines Schlangenhauses: die Gelbe Anakonda, die vor einem Jahr im August das beschauliche Lank-Latum in Atem hielt.
Am 23. August entdeckten Angler die etwa 2,40 Meter lange Würgeschlange, die sich im Latumer See – einem beliebten Angelrevier und Naherholungsgebiet in Meerbusch – Nahe des Ufers um aus dem Wasser ragende Äste gewickelt hatte und sonnte. Fachleute identifizierten die Art durch Schnappschüsse, der Bereich um den See wurde mit Absperrgittern und Warnschildern großräumig abgeriegelt. Ein Wettlauf gegen die Zeit begann. Weniger weil die Riesenschlange Haushunde und -katzen hätte vertilgen können, sondern vor allem weil man wegen drohender Kälte um die Gesundheit des Exoten vom Amazonas bangte.
Geschlecht und Alter der Schlange sind bis heute unbekannt
Die Stadt Meerbusch stellte eine Anakonda-Task-Force auf, holte sich Expertenhilfe im Düsseldorfer Aquazoo. Eine Schlangenjagd mit Reusen und Ködern wurde vorbereitet. Dann allerdings hatte ein Reptilienfachmann der Düsseldorfer Feuerwehr Glück: Er ertappte die Schlange bei einem weiteren Sonnenbad – und obwohl sie ihm noch zwei Mal entwischte und kurz abtauchte, hing das Reptil schließlich am Haken von Sebastian Schreiner. Nach reichlich Blitzlichtgewitter beim offiziellen Pressetermin auf der Feuerwache ging es für die Anakonda dann postwendend in ihr neues Heim in Brüggen.
Dort ließ man „Goldie“ – so tauften Radiohörer die Schlange, was man im Tierpark übernahm – erst einmal zur Ruhe kommen. In Quarantäne wurde sie auf Parasiten und Würmer untersucht. Das Nötigste. Nicht einmal das Geschlecht des einstigen „Ungeheuers von Loch Latum“ ist dort bis heute bekannt. Man wollte die Schlange schonen. Und: die Zeit auf der Isolierstation so kurz wie möglich halten. „Alle Welt wollte Goldie sehen“, erinnert sich Kerren an den vergangenen Sommer. „Da war nichts mit Quarantäne.“ Viele Besucher kamen eigens ihretwegen in den Tierpark. Einmal auch ein junges Paar, das schnurstracks vom Eingang zum Schlangenhaus und Goldies Terrarium marschierte, danach wieder abfuhr. Die Park-Belegschaft mutmaßte: Waren es die früheren Besitzer der Schlange? Wissen können sie es bis heute nicht. Eigentümer der Schlange ist offiziell der Rhein-Kreis Neuss, wie sie in den Latumer See gelangte, ist weiterhin ein Rätsel.
Ebenso wie das Alter der Anakonda. Laut Kerren kann man es nicht einmal schätzen, denn die Länge der Schlange hänge direkt von der Kalorienzufuhr ab: „Würde man sie zwei Mal in der Woche füttern, wäre sie in kürzester Zeit ein Riesenklopper.“ Damit meint er: vier bis fünf Meter lang. So, bei natürlicher Tierpark-Diät mit einer Ratte alle drei Wochen, ist „Goldie“ in diesem Jahr seit dem Abenteuer in Lank-Latum kaum gewachsen.
Für Kerren und seine Mitarbeiter ein Glück, denn: „Wenn jetzt noch so ein Brummer kommt, ist die Kapazität langsam erschöpft.“ Nachschub für den Tierpark kommt immer wieder von Feuerwehr oder Polizei: „Fast alle Tiere hier sind Findelkinder“, sagt der Parkchef im Schlangenhaus. Und oft auch schon in den Schlagzeilen gewesen – wenn vielleicht auch nicht so groß wie die Anakonda: etwa die Boa Constrictor, mit der ein Schamane aus dem Sauerland vergangenes Jahr durch den Düsseldorfer Hauptbahnhof lief; oder die Erdnatter, die 2012 eine CDU-Funktionärin bei einer Parteiveranstaltung in Dormagen plötzlich in ihrer Aktentasche fand.
Trotz Diät: In ein bis zwei Jahren wird Goldie als Riesenschlange für ihr Terrarium zu groß werden. Dann soll sie umziehen zu einer anderen Gelben Anakonda und einem stolze sechs Meter langen Netzpython – vor sieben Jahren mit damals schon vier Metern Länge vor dem Münchener Zoo ausgesetzt –, die ein großes Gemeinschaftsgehege haben.
Die gefundenen oder beschlagnahmten Reptilien finden in Brüggen nicht nur ein neues Zuhause, sondern dienen auch Einsatzkräften als Übungsobjekt. Denn in NRW können selbst Riesen- oder Giftschlangen prinzipiell von jedem gehalten werden – und überfordern ihre Besitzer regelmäßig so sehr, dass diese sie wieder loswerden wollen. Bei der zickigen Gelben Anakonda kann sich Stephan Kerren lebhaft vorstellen, wieso. „Das ist keine Anfängerschlange!“, sagt er deutlich. Auch der große Netzpython – wie die Anakonda eine Würge-, keine Giftschlange – hat bei einem Training mal gezeigt, was er kann: „Der hatte einen Feuerwehrmann zwischen den Zähnen“, berichtet Kerren. Mit etwas Spiritus brachte man die Schlange dazu, loszulassen. Abziehen wäre bei den hakenartigen Zähnen unmöglich und schon im Versuch sehr schmerzhaft gewesen. Auch so sagte der Feuerwehrmann, der kurz zuvor schon von einem Rottweiler angefallen worden war: den Pythonbiss fand er viel schlimmer.
Ein Erlebnis, das den Anwohnern und Spaziergängern in Lank-Latum erspart blieb. Die zickige Goldie hat jetzt zwar nicht mehr diverse Hektar zum Schwimmen, dafür ist ihr Bad hinter Glas wohltemperiert, das Futter wird angerichtet statt erjagt. Ein Happy End für eine nordrhein-westfälische Monstergeschichte.