Serie Entscheidung über Sicherheitsverwahrung steht noch aus
Haan. · Über die mögliche Sicherungsverwahrung des kriminellen Ex-Tiefbauamts-Mitarbeiter ist noch nicht entschieden.
21. Juni 1997, 14.02 Uhr an der Rheindorfer Straße in Langenfeld: Ein Mercedes fährt mit hoher Geschwindigkeit frontal auf den Geldtransporter der Firma Kötter Security zu, der dort gerade die Schleuse der Allkauf-Filiale verlassen hatte. Ein BMW blockiert den Transporter von hinten. Zwei mit Sturmhauben maskierte Männer steigen aus dem Mercedes – einer mit einer Panzerfaustattrappe bewaffnet, der andere mit einem Sturmgewehr. Ein Schuss in den Reifen macht die Flucht unmöglich, einer der Männer zwingt einen der Fahrer dazu, den Geldtransporter zu verlassen und sich auf den Boden zu legen. Über sich sieht das Opfer die Panzerfaustattrappe – nicht wissend, das davon keine Gefahr ausgehen würde.
Danach geht alles ganz schnell: Mit vorgehaltener Waffe wird der andere Fahrer dazu genötigt, zwei Kisten mit Bargeld aus dem Transporter zu holen. Mit einem Gewehr bewaffnet, greift einer der Täter zu einer weiteren Tüte mit Bargeld. Die drei Männer flüchten – die Beute von 1 210 049,84 DM sollen sie später bis auf die Kommastelle genau untereinander aufgeteilt haben. Den BMW 520i hatten sie zuvor in Mettmann einem dort ansässigen Friseur von der Straße weg geklaut und nach dem Überfall in einem nahegelegenen Wohngebiet abgestellt.
Einer der Täter: Jochen M. (Name geändert), angestellt beim Tiefbauamt der Stadt Haan. Der Kanalarbeiter hatte sich für diesen Tag Urlaub genommen – weitere Urlaubstage mit ähnlichem Ablauf sollten folgen. An diesem Tag im Juni 1997 war jedenfalls der Moment gekommen, in dem der mittlerweile 56-Jährige auf die schiefe Bahn abbog.
Ob Langeweile aufgekommen war bei seinem Tagwerk im Haaner Untergrund oder ob ihm der Kanalarbeiterlohn nicht genug war? Möglicherweise war es aber auch sein Schwager, der mit Bordellbesuchen und einem ausschweifenden Lebenswandel in finanzielle Nöte geraten war und auf einem der Familientreffen die kriminelle Karriere des Jochen M. angeschoben hatte.
Jedenfalls war die Beute aus dem Überfall in Langenfeld schnell unter die Leute gebracht, als ein Jahr später die Fahrer eines Geldtransporters in Hagen erneut die Panzerfaustattrappe vor das Gesicht gehalten bekamen. Weiter ging’s in Neuss, Düsseldorf und Wetter: Beinahe im Jahresrhythmus, immer waren die Taten akribisch geplant. So wie der Überfall auf einen Transporter der Firma Kötter in Wülfrath, diesmal vor der Kreissparkassenfiliale in Rhodenhaus. Ein Mettmanner Autofahrer erfuhr später, dass man sein zuvor gestohlenes Kennzeichen an ein geklautes Taxi montiert hatte, um damit am Tatort vorzufahren. Mit dem vorgehaltenen Gewehr zwangen die Täter einen der gerade ausgestiegenen Fahrer zur Übergabe eines Koffers mit 20 000 Euro, der von einem der Räuber allerdings für zu leicht befunden wurde. Mit weiteren 115 000 Euro flohen sie in ein Waldstück, um dort das Taxi in Brand zu stecken.
Weitere 30 000 Euro stammten aus einem Überfall in Velbert, bis der nächste Coup 2008 in Erkrath in einem Fiasko endete. Als der Geldtransporterbegleiter mit 4100 Euro aus einer Schlecker-Filiale zum Auto lief, soll ihm einer der Täter mit einem Sturmgewehr entgegengekommen sein. Derweil löste der Fahrer des Geldtransporters den Alarm aus: Mitten auf der Falkenstraße stand nun ein Auto, an dem die Lichthupe aufleuchtete und die Sirene schepperte. Einer der Männer schlug mit dem Sturmgewehr gegen die Frontscheibe und hielt die Waffe in das Gesicht des Fahrers, um ihn zum Öffnen des Werteraums zu zwingen. Das allerdings war wegen des ausgelösten Alarms nicht mehr möglich. Am Ende teilten Jochen M., dessen Schwager und ein weiterer Mittäter die erbeuteten 4190 Euro unter sich auf.
Der nächste Überfall – diesmal in Solingen – ließ nicht lange auf sich warten. Euskirchen, Neuss, Düsseldorf: Es ging weiter, und weiter, und weiter. Bei ihrem letzten Coup mitten in einem Dortmunder Wohngebiet scheint die Panzerfaust-Bande längst alle Vorsichtsmaßnahmen in den Wind geschossen zu haben – umringt von Zeugen zogen sie die Nummer durch und rauschten mit der Beute ab.
Da war Jochen M. schon seit drei Jahren nicht mehr dabei, weil er sich von seiner Frau getrennt hatte und mit dem Schwager zerstritten war. Der wiederum galt als „Kopf“ der Bande und hatte in Dortmund einen Anfängerfehler gemacht: In der Nähe des Tatortes hatten Ermittler einen Zettel mit seiner Telefonnummer gefunden. Und Jochen M.? Wie der Kanalarbeiter nach dem Ausstieg bei der kriminellen Truppe seinen Feierabend gestaltet und seinen kostspieligen Lebenswandel finanziert hat, weiß niemand so genau. Im Mai 2017 folgte dann der Überfall auf einen Pensionär im Hermann-Löns-Weg, bei dem Jochen M. als „Drahtzieher“ galt. Monate später klickten für ihn die Handschellen, 2018 wurde er vom Landgericht Hagen zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Ein Erddepot mit zwei Millionen Euro wurde leergeräumt
Dort soll ein als Zeuge gehörter Mittäter dem Richter erzählt haben, dass einer der angeklagten Haupttäter noch nach seiner Festnahme aus der Gefängniszelle heraus mittels Handy dafür gesorgt haben soll, dass ein Erddepot mit zwei Millionen Euro Bargeld schnell leergeräumt wurde. Auch Jochen M. galt vor Gericht als Haupttäter, über seine Sicherungsverwahrung ist jedoch noch nicht endgültig entschieden. Sollte es dazu nicht kommen, könnte er schon in sechs Jahren ein freier Mann sein.