Einschränkung der Grundrechte Epidemie-Gesetz in NRW muss warten - Kein Blankoscheck für Laschet-Regierung

Düsseldorf · Nur kurz währte in der Corona-Krise der Burgfrieden zwischen Regierung und Opposition. Beim umstrittenen Epidemie-Gesetz ging es im Landtag schon wieder hoch her. Die Opposition will der Regierung im Kampf gegen Corona keinen Blankoscheck ausstellen.

Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, lauscht der Rede des Oppositionsführers im Landtag.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die Opposition im Landtag bremst den Plan von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) für weitgehende Regierungsbefugnisse im Kampf gegen das Coronavirus vorerst aus. Gut eine Woche nach der einstimmigen Verabschiedung eines 25-Milliarden-Rettungspakets im Landtag verweigerten SPD, Grüne und AfD der CDU/FDP-Regierung am Mittwoch die rasche Zustimmung zum geplanten Epidemie-Gesetz. Die Opposition warnte Laschet, im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus das Maß zu verlieren und die Rechte des Parlaments zu beschneiden.

„Das Virus ist noch lange nicht gestoppt“, sagte Laschet im Landtag. „Um italienische Verhältnisse zu vermeiden“, müssten weiterhin alle gemeinsam gegen die Ausbreitung kämpfen. Der umstrittene Gesetzentwurf wurde nicht, wie ursprünglich von der Regierung geplant, im Eiltempo durch den Landtag gebracht, sondern zunächst in Ausschüsse überwiesen. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall vor. Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden, medizinisches Material sicherzustellen.

Nach Ansicht der Grünen wäre das Gesetz in der jetziger Form ein „Blankoscheck“ für die Regierung, die SPD sieht einen Verfassungsbruch, für die AfD ist es eine „Bauchlandung“ der Regierung Laschet. Alle Fraktionen zeigten sich aber bereit, das Gesetz zu korrigieren und zu einer Einigung zu kommen.

Laschet mahnte zur Eile. Das einzige Ziel sei, am „Tag X“, wenn es „zum Katastrophenfall“ komme, genug Handlungsmöglichkeiten zu haben. „Wir müssen vor Ostern Klarheit haben.“ Die öffentlichen Stellen bräuchten schnellen Zugriff auf medizinisches Material, wenn es nötig werde. Ein solches Gesetz könne aber nicht durch parteipolitische Kämpfe und nur mit der hauchdünnen Ein-Stimmen-Mehrheit von CDU und FDP durch den Landtag gebracht werden, räumte er ein. Daher werde die Regierung die Bedenken der Opposition einbeziehen. Am 6. April sollen zunächst Sachverständige angehört werden. Das Gesetz soll dann am 9. April in einer Sonder-Plenarsitzung verabschiedet werden.

Die Landesregierung versuche, in der Corona-Krise mit Rechtsverordnungen am Parlament vorbei zu regieren, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. „Diesen Freifahrtschein können wir Ihnen so nicht ausstellen.“ Kutschaty zitierte einen Beitrag in der „Welt“, in dem Laschet gewarnt hatte, dass Politiker in der Corona-Krise „nicht dem Rausch des Ausnahmezustands und der Tatkraft“ verfallen dürften. Laschet aber habe das von ihm darin geforderte Gespür für „Maß und Mitte verloren“, betonte Kutschaty.

Das Parlament dürfe in Krisenzeiten der Regierung keine „Blankovollmachten“ ausstellen, sondern müsse Verantwortung übernehmen, forderte Grünen-Fraktionschefin Monika Düker. Die geplanten Eingriffsbefugnisse seien so gravierend, dass sie nur befristet gelten dürften. Zwangsverpflichtungen seien zudem „weder erforderlich noch angemessen“. Auch die FDP als Koalitionspartner der CDU äußerte Bedenken. „Es darf nicht an der Parlamentsbeteiligung und am Parlamentsvorbehalt gerüttelt werden“, sagte FDP-Fraktionschef Christof Rasche. CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen stellte klar, dass weiterhin das Parlament das letzte Wort haben solle und Arbeitgeber zudem dem Einsatz von zwangsverpflichteten Medizinern widersprechen könnten.

Laschet berief unterdessen einen Expertenrat ein. Dieser soll Kriterien erarbeiten, wie das öffentliche Leben nach der Corona-Krise wieder in Gang gebracht werden kann. Das zwölfköpfige Experten-Gremium aus Virologen, Soziologen, Ethikern und Juristen soll seine Arbeit am Freitag aufnehmen. Die Politik könne nicht Ende April einfach verkünden, aus den Beschränkungen auszusteigen und alles wieder zu öffnen, rechtfertigte Laschet den Expertenrat. „Man muss nachvollziehen können, warum man das macht und was abgewogen wird.“ Düker entgegnete, auch diese Debatte gehöre eigentlich in den Landtag. Denn das Parlament entscheide am Ende, wann und wie die Corona-Maßnahmen gelockert würden.

Laschet warnte vor dramatischen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. „Das Ifo-Institut prognostiziert, dass jede zusätzliche Woche Shutdown (zu Deutsch: Stilllegung) ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten würde - also rund 35 Milliarden Euro“, sagte Laschet. „Im schlimmsten Fall sinkt die Wirtschaftsleistung um 20 Prozent. Eine solche tiefe Wirtschaftskrise hat Deutschland noch nie erlebt.“ Laschet befürchtet auch eine steigende Arbeitslosigkeit und eine rasant zunehmende Kurzarbeit. Bis zum 26. März seien bei den Agenturen für Arbeit schon rund 96 000 Anmeldungen eingegangen. Um die Situation in den Kommunen zu erörtern, denen hohe Steuerausfälle und neue Schulden drohten, werde er kommende Woche mit den kommunalen Spitzenverbänden per Videokonferenz einen „Kommunal-Gipfel“ abhalten.

Noch vor einer Woche hatten alle Fraktionen einstimmig für das eilig geschnürte 25-Milliarden-Hilfspaket der Landesregierung die Hand gehoben, auf gegenseitige Angriffe verzichtet und sich gegenseitig Applaus gespendet. Der Burgfrieden galt am Mittwoch nicht mehr. CDU-Fraktionschef Löttgen sorgte für besondere Empörung, als er die Opposition warnte, sich mit „politischen Hamsterkäufen“ in der Krise profilieren zu wollen. „Unverschämt“, konterte die Grünen-Fraktionschefin Düker.

(dpa)