EU-Videogipfel zu Corona Grenzkontrollen möglich: EU-Staaten erwägen neue Reiseauflagen
Brüssel · Der Schreck aus dem Frühjahr 2020 sitzt noch tief: Einseitige Kontrollen an den Grenzen in Europa sorgten zu Beginn der Corona-Krise nicht nur für schlechte Stimmung, sondern auch für Megastaus. Zum EU-Gipfel ist das Thema erneut auf dem Tisch.
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie versuchen die 27 EU-Staaten, das Impfen zu beschleunigen und die gefürchteten neuen Virusvarianten einzudämmen. Bei einem Videogipfel am Donnerstagabend prüften die Staats- und Regierungschefs nach Angaben eines EU-Vertreters mögliche weitere Auflagen für nicht-notwendige Reisen. Die Grenzen sollten aber möglichst offen bleiben, hieß es. Vorab hatte Kanzlerin Angela Merkel Grenzkontrollen nicht ausgeschlossen, um hochansteckende Virusformen fernzuhalten.
Bürger und Wirtschaft könnten also neue Hindernisse bei Reisen und Transporten in Europa ins Haus stehen. Dabei hofften einige EU-Urlaubsländer wie Griechenland, Spanien oder Portugal, schon jetzt die Voraussetzungen für mehr Bewegungsfreiheit im Sommer zu schaffen: Sie warben für einen europäischen Corona-Impfpass, der einfacheres Reisen ermöglichen könnte. Beim Videogipfel zeichnete sich aber nach Angaben des EU-Vertreters ab, dass der Impfpass zunächst nur ein medizinisches Dokument sein solle und kein Reisedokument.
Eigentlich herrscht im Schengenraum, dem 26 europäische Länder angehören, Bewegungsfreiheit ohne stationäre Grenzkontrollen. Doch etliche Länder hatten zu Beginn der Pandemie teils unkoordiniert Grenzen dichtgemacht oder Kontrollen veranlasst. An der deutschen Grenze zu Polen staute sich der Verkehr teils Dutzende Kilometer. Verderbliche Waren kamen nicht ans Ziel, Grenzpendler hatten Probleme, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.
Die EU-Kommission will eine Wiederholung unbedingt vermeiden. Doch kontrollieren einige Länder bereits wieder an ihren Grenzen, darunter Ungarn, Österreich und Dänemark. Und jetzt lösen die in Großbritannien und Südafrika entdeckten Mutanten des Coronavirus neue Ängste aus, weil sie ansteckender als bisherige Varianten sein könnten.
Dazu tauschten sich die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrer Videokonferenz erstmals aus. Das Ziel ist klar: Die mutierten Viren gezielter aufspüren und die Verbreitung so weit wie möglich bremsen. Merkel sagte, sie erwarte „besondere Vorkehrungen“ bei Einreisen aus Großbritannien und Südafrika. Deutschland hat für Reisende aus diesen Ländern bereits eine Testpflicht eingeführt.
Grenzkontrollen oder -schließungen innerhalb der EU lehnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn strikt ab. Wenn Pendler zum Beispiel nicht mehr nach Luxemburg kommen könnten, bräche dort das Gesundheitswesen zusammen, warnte er im Deutschlandfunk.
Eben diese Pendler in Grenzregionen sind aus Merkels Sicht jedoch entscheidend. Deutschland werde dazu beitragen, dass Pendler getestet werden könnten, sagte die CDU-Politikerin bei einer Pressekonferenz in Berlin. Dazu sei man auch mit den Herkunftsländern im Gespräch. Der freie Warenverkehr stehe nicht zur Debatte. Und es gehe nicht um flächendeckende Grenzkontrollen. „Ich sage Ihnen aber ganz offen: Wenn ein Land mit einer vielleicht doppelt so hohen Inzidenz wie Deutschland alle Geschäfte aufmacht, während sie bei uns noch geschlossen sind, dann hat man natürlich ein Problem.“
Die Wirtschaft ist gegen nationale Alleingänge und fürchtet, dass wieder Waren an den Grenzen steckenbleiben - auch Medikamente oder Schutzgüter, wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte. Auch der belgische Premier Alexander De Croo will keine neuen Hürden für Lastwagen oder für Grenzpendler. Er brachte jedoch ins Spiel, touristische und andere nicht notwendige Reisen zu verbieten.
Beim Impfen rumpelt es noch in vielen EU-Staaten. Beim Videogipfel habe es viele Fragen zur Transparenz und zu Lieferplänen für die verschiedenen Impfstoffe gegeben, berichtete der EU-Vertreter. Weil die Unternehmen Biontech und Pfizer kurzfristig weniger Impfstoff als geplant liefern können, wurden in Deutschland zum Teil Impftermine abgesagt.
Dennoch drängt die EU-Kommission die 27 Staaten zu ehrgeizigen Zielen. Bis zum Sommer sollen 70 Prozent der Erwachsenen in der EU gegen das Virus immunisiert sein, bis März bereits 80 Prozent der Menschen über 80 Jahre und des Pflege- und Gesundheitspersonals. Merkel äußerte sich zurückhaltend. Die Kanzlerin bekräftigte lediglich, dass man allen in Deutschland bis zum Ende des Sommers - also bis zum 21. September - ein Impfangebot machen wolle.