„Tiktok-Dschihadisten Stecker ziehen“ Fall des mutmaßlichen Islamisten aus Wuppertal sorgt für hitzige Debatte im NRW-Landtag

Düsseldorf · Ein 15-jähriger mutmaßlicher Islamist aus Wuppertal steht im Verdacht, Anschläge auf jüdische Einrichtungen geplant zu haben. Ist dieser Fall beispielhaft für die Radikalisierung Jugendlicher?

Wie kann der Rechtsstaat Minderjährige vor radikalen Einflüsterern im Internet schützen? Im NRW-Landtag wird darüber engagiert gestritten.

Im Kampf gegen die zunehmende Radikalisierung junger Leute vor allem über das Internet bittet Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) die Opposition um Unterstützung. Die Gefahr sei ebenso unbestritten wie die seit Jahren bestehende abstrakte Bedrohung durch islamistischen Terrorismus, sagte Reul im Düsseldorfer Landtag.

Reul: „Die Leute sind das echt leid“

„Meckern, Nörgeln und Kritisieren“ führten aber nicht zu den nötigen Lösungen, betonte der Innenminister in einer von der FDP beantragten Aktuellen Stunde. „Ich glaube, die Leute sind das echt leid.“

Sogar ein Anschlag während einer Klassenfahrt in die Niederlande soll bei einem 15-jährigen mutmaßlichen Gefährder im Gespräch gewesen sein. Die FDP bringt den Fall auf die Tagesordnung des Düsseldorfer Landtags. (Symbolbild)

Anlass für die Debatte war der Fall eines 15-Jährigen aus Wuppertal, der als islamistischer Gefährder eingestuft wird und derzeit unter Terrorverdacht in Untersuchungshaft sitzt.

Die FDP-Opposition fordert schärfere Maßnahmen gegen radikale Islamisten. Potenzielle Gefährder müssten konsequent überwacht und abgeschoben werden, forderte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Marc Lürbke.

Kinder und Jugendliche seien vor geistigen Brandstiftern besser zu schützen - „in der Schule, auf der Straße, beim Sport, in der Moschee und besonders im Netz“, unterstrich der Liberale. Hier sei die Landesregierung gefragt: „Wir müssen diesen Tiktok-Dschihadisten den Stecker ziehen - online wie offline.“

FDP: NRW bleibt „Hotspot für radikalen Islamismus“

Im Internet fehle eine rechtsstaatliche Gegenerzählung zu Radikalismus, Hass und Hetze. „Warum machen Sie das nicht?“, fragte der FDP-Politiker Innenminister Reul. Weil NRW zu zaghaft im Umgang mit Gefährdern und Hasspredigern sei, bleibe das Land „ungebremst Hotspot für radikalen Islamismus“.

Reul hielt dagegen, dass den Sicherheitskräften ein wirksameres rechtliches Instrumentarium fehle, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen und auch bei Verkehrsdaten. Tatsache sei, dass die Bundesregierung in der Frage seit Jahren mauere.

Wer springt am weitesten über seinen Schatten?

In dieser schwierigen politischen Frage hätten sich die Grünen in der NRW-Koalition mehr bewegt als die Ampel-Parteien im Bund, stellte Reul fest. „Wir wollen nicht, dass die IP-Adressen von Tätern da sind, aber wir nicht wissen, wer dahintersteckt“, betonte der CDU-Politiker. „Wenn Sie dasselbe auch mit der FDP und der SPD im Bundestag hinkriegen würden, dann wären wir durch“, erwiderte er auf Lürbkes Vorwürfe.

Zum Fall des 15-jährigen deutsch-türkischen Schülers, der seit fast drei Wochen wegen islamistischer Terrorabsichten in Untersuchungshaft sitzt, sei immerhin festzuhalten: „Wir haben ihn.“ Statt immer nur zu mäkeln, könne man Polizei, Verfassungsschutz und Sicherheitskräften auch danken, dass sie „einen verdammt ordentlichen Job“ machen, sagte Reul.

Minister zeigt Einsatz: „Zack - schon passiert“

Um auf solche Fälle künftig noch besser reagieren zu können, habe das Landeskabinett am vergangenen Dienstag eine neue Gewahrsamsordnung beschlossen. „Zack - schon passiert“, sagte er zu Vorwürfen der Opposition, die Landesregierung tue zu wenig.

Anschlagspläne für Klassenfahrt?

Dem Jugendlichen aus Wuppertal wird Verabredung zu einem Verbrechen vorgeworfen. Was er konkret vorhatte, ist noch unklar. Neben einem Anschlag auf jüdische Einrichtungen soll auch ein Anschlag während einer Klassenfahrt in die Niederlande im Gespräch gewesen sein.

Opposition bemängelt Widersprüche

Die SPD-Abgeordnete Christina Kampmann warf der Landesregierung Verlogenheit vor, weil sie einerseits „pressewirksam ein Sicherheitspaket präsentiert“ und gleichzeitig beim Verfassungsschutz und beim hochgelobten Präventionsprogramm „Wegweiser“ Kürzungen vorsehe.

Die AfD-Abgeordnete Enxhi Seli-Zacharias forderte eine zeitgemäße Antiterror-Struktur, die in der Lage sei, mit hochwertiger Technologie das Sympathisanten-Netzwerk zu durchdringen. Längst gehe es nicht mehr nur um spontane Selbstradikalisierungen von Einzeltätern, warnte sie. Eine inzwischen „äußerst resiliente Terrorstruktur“ werde durch mangelnde Abschiebungen begünstigt.

„Populistischer Blödsinn“

Natürlich würden Gefährder abgeschoben, wenn rechtlich möglich, sagte die Grünen-Abgeordnete Julia Höller. Zu suggerieren, damit seien alle Sicherheitsprobleme irgendwie gelöst, sei allerdings „populistischer Blödsinn“. Der Wuppertaler Fall habe gar nichts mit Abschiebungen zu tun.

CDU und Grüne verwiesen auf ihr Sicherheitspaket, das sie nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten tödlichen Messer-Angriff von Solingen auf den Weg gebracht hatten, sowie zahlreiche längst laufende Präventions- und Aussteigerprogramme gegen Extremismus. Der Antrag der FDP laufe damit „völlig ins Leere“, bilanzierte der CDU-Abgeordnete Gregor Golland.

FDP in der Zwickmühle

Dabei habe es doch gerade der von der FDP gestellte Bundesjustizminister Marco Buschmann in der Hand, die Sicherheitslage in Deutschland massiv zu verbessern, meinte er. „Die FDP geht lieber mit der Ampel unter, als zu handeln.“

Reul gab unter Hinweis auf die AfD zu bedenken: „Ist es eigentlich klug, dass wir immer nur darüber reden, was alles schiefläuft und schlecht läuft und wie dramatisch die Lage ist? Oder hetzen wir damit nicht die Leute auf in eine Ecke, in die wir sie nicht haben wollen?“

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(dpa)