Gesamtschule Langerfeld Gewaltpräventionstraining: Wuppertaler Jugendliche lernen, sich zu wehren

Wuppertal · Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Langerfeld haben ein Gewaltpräventionstraining durchlaufen.

Martin Dolle und Schüler Dennis simulieren eine Angriffssituation – und wie man sich verteidigt.

Foto: JA/Andreas Fischer

Der Angreifer kommt dem Mädchen nahe, bedrohlich nahe. Er fixiert sie mit provozierendem Blick, sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Die Siebtklässlerin hebt die Hand und geht aus der Situation heraus – Rückzug ist erlaubt im Gewaltpräventionstraining, das jetzt im Rahmen der Projektwoche an der Gesamtschule Langerfeld stattfand. Dazu gingen die Schülerinnen und Schüler der 7. Klassen ins nahe gelegene Jugendzentrum „Mutig & Stark“. Hier trainierten sie mit Coach Martin Dolle, angemessen, deeskalierend und mit einer guten Portion Selbstbewusstsein in bedrohlichen Situationen zu agieren und unversehrt aus brisanten Lagen herauszukommen.

Einige Boxsäcke hingen nebeneinander von der Decke der Fabrikhalle mit Sportstudio-Flair. Sie sollten beispielsweise den Körper eines Angreifers darstellen, dem es sich zu widersetzen gilt. Die 12-jährige Noelia hatte die sechs Regeln für sinnvolles und selbstbewusstes Verhalten in bedrohlichen Situationen am Ende des 90-minütigen Trainings schon gut verinnerlicht: „Die erste Stufe ist, dass man jemanden, der einem zu nahe kommt und offensichtlich Streit sucht oder übergriffig wird, anrempelt“, erläutert die Schülerin. In weiteren Schritten soll man laut seine Stimme einsetzen, um Hilfe rufen. „Dabei ist es wichtig, dass man ruft, können „Sie“ mir bitte helfen. Wenn man das „Du“ benutzt, kann das auch als Spaß unter Jugendlichen interpretiert werden und wird nicht ernst genommen“, weiß Noelia. Sie zeigt die Körperhaltung, die man einnehmen soll, weiß, dass man beide Hände zeigen und vor dem Körper verschränken soll, damit das Gegenüber nicht glaubt, man habe eine Waffe in der Tasche oder hinter dem Rücken versteckt.

Ein energisches „Stopp!“ und den Ellenbogen als „Rammbock“ in Position bringen … all das trainierten die Jugendlichen im Fitness- und Sportcenter und Begegnungszentrum Mutig & Stark unter dem Dachverband Ankerplatz. Bei der Schubs-Übung gegen den Boxsack galt es, sich in Sachen Kraftaufwand auszuprobieren. Ein Gefühl für die eigene Körperkraft zu entwickeln, die man einsetzen muss, um den schweren Sack wirklich in Bewegung - sprich einen Angreifer aus dem Gleichgewicht - zu bringen, konnten die Schülerinnen und Schüler an dieser Station erleben.

„Es ist viel besser, dass das jemand von außen macht“

Mit Beispielen aus der Praxis erläuterte der Coach Martin Dolle, dass diese Situationen tatsächlich ernster und bedrohlich sind, als die Trainingssituation, in der er den Jugendlichen immer ermöglichte, die Lage zu beenden, sobald ihnen unbehaglich zumute war. „Das ist in echten Bedrohungssituationen, in denen man angepöbelt, angerempelt, verbal beschimpft oder sogar mit einer Waffe bedroht wird, anders“, erklärte der ausgebildete Feuerwehrmann und Rettungssanitäter, der sich in seiner Freizeit als Übungsleiter der Jugendarbeit verschrieben hat. Weil er auch Boxer und Kick-Boxer ist, war er für die Jugendlichen eine Autorität, deren Empfehlungen und Anweisungen sie gerne folgten.

„Es ist viel besser, dass das jemand von außen macht“, begründete Klassenlehrerin Bilge Tas den Ausflug ins Trainingszentrum, das den Praxisanteil der Projektwoche vor den Herbstferien leistete. „Die Trainer ziehen die Jugendlichen aus ihrem Schulalltag. Den theoretischen Teil, zu dem auch Gespräche und Workshops zum Thema Internetgewalt, Bullying, Mobbing gehören, bearbeiten wir fächerübergreifend in der Schule“, skizzierte Tas das Konzept der Projektwoche.

Richtig spannend wurde es zum Schluss, als Martin Dolle mit einem Schüler anschaulich eine geplante Messerattacke nachstellte: Ein Jugendlicher fuchtelte im Rollenspiel aufgebracht mit einem Messer in der Absicht herum, sein unbewaffnetes Gegenüber anzugreifen. Der Anti-Gewalt-Trainer forderte die Schüler auf, die Chancen des Unbewaffneten auf einen unversehrten Ausgang der Situation zu berechnen und wollte Vorschläge für ein sinnvolles Verhalten hören. Dass seine Chancen, nicht verletzt zu werden, bei nur zehn Prozent lagen, obwohl er in Sachen Selbstverteidigung durchaus versiert ist, mochten die Kids kaum glauben. Weniger als fünf Prozent Chancen hätte er bei einem ebenbürtigen Gegner, statt eines aufgebrachten Schülers gehabt. Nur unwesentlich höher seien seine Chancen, wenn er auch selbst bewaffnet gewesen wäre, signalisierte Dolle, dass das Mitführen von Messern keine Möglichkeit sei, sich selbst zu schützen. Noch weniger sei eine Schusswaffe geeignet, um selbst mit heiler Haut aus einer solchen Situation herauszukommen, denn nur ein sicher tödlicher Schuss verhindere die Messerattacke wirklich.

Die Jugendlichen staunten über das „einfache“ Rezept, sich aus einer solchen Bedrohungssituation zu befreien, nachdem man um Hilfe gerufen hat: „Lauft, was Ihr könnt!“ lautete der dringende Appell des Experten, sich unter keinen Umständen auf Wort- und Waffengefechte einzulassen. Denn: auch wenn man das Gegenüber mit der Absicht, sich selbst zu verteidigen, verletzt, müsse man mit diesem seelischen Trauma leben.