Digitalisierung als Herausforderung Handelsverband schlägt Alarm: Der Mittelstand wird abgehängt

Düsseldorf · Die Lage ist gut, die Deutschen kaufen. Davon profitieren aber kleine Unternehmen nicht. Insbesondere bei der Digitalisierung sei der Mittelstand weitgehend abgehängt.

 Der deutsche Handel verbucht im ersten Halbjahr 2019 weit bessere Umsätze als erwartet. Anlass zur Sorge gibt es dennoch.

Der deutsche Handel verbucht im ersten Halbjahr 2019 weit bessere Umsätze als erwartet. Anlass zur Sorge gibt es dennoch.

Foto: dpa/Martin Gerten

Das Jahr 2019 entwickelt sich für den Handel in Deutschland besser als gedacht: Ging der Handelsverband Deutschland (HDE) noch Anfang des Jahres davon aus, dass die Umsätze um zwei Prozent steigen würden (preisbereinigt um 0,5 Prozent), so lag zumindest das erste Halbjahr mit einem Plus von 3,1 Prozent (preisbereinigt 2,6 Prozent) deutlich darüber.

Hauptgrund sei, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth am Dienstag in Düsseldorf, dass der gesamtwirtschaftliche Abwärtstrend von den Verbrauchern zwar zur Kenntnis genommen werde, bei guter Lage am Arbeitsmarkt und kletternden Löhnen deren Stimmung aber nicht trüben könne. So stieg die Zahl der Erwerbstätigen im Juli gegenüber dem Vorjahresmoat um 0,8 Prozent auf 45,1 Millionen Menschen, die Bruttolöhne stiegen im zweiten Quartal 2019 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 4,9 Prozent. Auch aktuell im September steigt das HDE-Konsumbarometer noch einmal um 0,28 Punkte gegenüber dem August auf nunmehr 100,01 Punkte.

Sorgenkind des Handelsverbandes bleiben die kleinen und mittleren Unternehmen im Einzelhandel, die ihre Lage deutlich schlechter einschätzen als größere. Insbesondere bei der Digitalisierung sei der Mittelstand weitgehend abgehängt; sie sei aber für die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft ein entscheidender Faktor. Die Bundesregierung sei mit ihrem „Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum“ zur Unterstützung der Händler auf dem Weg in die digitale Welt, das im Juli an den Start ging, schon „auf dem richtigen Weg“.

Für kleine Unternehmen seinen Plattformen im Internet oftmals eine kostengünstigere Alternative zum aufwendigen Aufbau eines eigenen Online-Shops. Diese sind laut Genth allerdings „Fluch und Segen zugleich“, weil sie Abhängigkeit schaffen. Zudem gebe es in einigen Fällen den Verdacht, dass die mit Hilfe der kleinen Anbieter generierten Daten zur Optimierung des eigenen Geschäfts missbraucht würden. Das wäre unlauter, sagt Genth und begrüßt das Engagement von Bundeskartellamt und den EU-Wettbewerbshütern in dieser Frage.

Der HDE-Mann rät Mittelständlern aber auch dazu, untereinander stärker zu kooperieren. Und gibt den Hinweis: Digitalisierung heißt nicht nur E-Commerce. Ein hochklassiger Juwelier etwa könne natürlich seine Waren nicht mit dem Paketdienst versenden, durchaus aber durch kluge Kommunikationsstrategien die Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken für sich nutzen.

 Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE).

Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE).

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Dass es ohne die digitale Welt im Handel heute kaum noch geht, belegt eine weitere Entwicklung, die der HDE ausmacht: Der Anteil der über 60-Jährigen an den Online-Shoppern wachse stark an. Für den Handel eine „hochinteressante Zielgruppe“, sagt Stefan Genth, weil dort ordentlich Kaufkraft vorhanden sei. Der Anteil von Menschen, die online kaufen, liegt in dieser Altersgruppe laut aktuellem HDE-Online-Monitor bei 34,5 Prozent. Und es gebe noch reichlich Potenzial: Zwischen 2017 und 2018 ging dieser Anteil um elf Prozent nach oben.

Auch für das kommende Jahr sieht Stefan Genth muss man trotz leichten Abschwungs „nicht in Pessimismus verfallen“: Ein Einbrechen des Konsums werde für 2020 nicht erwartet. Ohne eine lange Wunschliste an die Politik kommt eine Pressekonferenz zur Lage des Einzelhandels indes auch in stabilen Konsumzeiten nicht aus. So ächzen die Unternehmen laut HDE noch immer über hohe bürokratische und steuerliche Belastungen. „Bürokratieabbau konsequenter als bisher zu betreiben, ist das Gebot der Stunde“, so der Verband. Steuersenkungen dürften kein Tabu sein, auch tritt der HDE für eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags ein.

Auch das bisherige Abgaben- und Umlagesystem im Energiebereich ist dem Verband schon lange ein Dorn im Auge. Er spricht sich für einen sektorenübergreifenden CO2-Preis aus, aber auch für die Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen bei den mittelständischen Händlern.

Für das laufende Jahr bleibt der HDE übrigens trotz des besseren ersten Halbjahres bei seiner Umsatzprognose von zwei Prozent plus. Auch weil im heißen und trockenen Sommer die Deutschen wohl lieber im Schwimmbad als in der Fußgängerzone waren. Genth gibt aber zu bedenken: „Wir stehen jetzt vor dem entscheidenden Herbst- und Weihnachtsgeschäft.“ Noch ist also vieles möglich.