„Man wird super verheizt“ Junge Ärztin aus NRW berichtet über Frust im Krankenhausalltag

Düsseldorf · Ärzte wollen helfen. Doch der überfordernde Berufsalltag dank Personalmangel und die Belastung mit fachfremden Tätigkeiten im Krankenhaus macht sie selbst oft hilflos. Ein Fallbeispiel.

Vor allem zum Wohle des Patienten? Der Alltag von Ärzten im Krankenhaus ist ein anderer: Personalmangel, Bürokratie, Überlastung.

Foto: dpa/Fabian Sommer

Man könnte sagen, die junge Assistenzärztin Paula Striebel (Name geändert) hat es gut getroffen. Das Team der Klinik für Innere Medizin eines kirchlichen Krankenhauses im Ruhrgebiet bezeichnet sie als toll, den Chefarzt als einen Menschen, „der wirklich alles versucht, uns Mitarbeiter zu unterstützen“. Aber auch ihm seien leider viel zu oft die Hände gebunden. Im Ergebnis klingt Striebels erstes Fazit drei Monate nach ihrem Berufseinstieg denkbar ernüchtert: „Man wird super verheizt.“

Die 28-Jährige steht mit diesem Gefühl innerhalb der Kollegen nicht allein da. „Eigentlich geht das uns allen so.“ Aber in der öffentlichen Debatte sei in erster Linie von den Nöten des Pflegepersonals die Rede, so gut wie gar nicht von denen der Ärzte. „Ich habe das Gefühl, häufig wird von uns erwartet, dass wir gefälligst zufrieden sein sollen, weil wir immerhin genug verdienen. Aber ist das ein Grund, weiterhin unsere Gesundheit zu gefährden?“

Paula Striebel erinnert sich noch gut an den Einstieg Anfang des Jahres. Schon das Praktische Jahr (PJ) hatte sie in dem Haus absolviert, dann im November das 3. Staatsexamen bestanden. „Ich wusste, dass man ins kalte Wasser geworfen wird. Aber das war eiskaltes Wasser.“ Gleich am ersten Tag warteten auf Station zehn eigene Patienten – samt Visite und notwendigen Anordnungen. In der Spitzenzeit waren es gar 18 Patienten. „Ich wusste gar nicht, wie ich die versorgen sollte.“ Im PJ war sie immer im Hintergrund mitgelaufen, ohne Verantwortung. Und die Multiple-Choice-Prüfungen des Studiums sind auch keine adäquate Praxisvorbereitung.

Mehr als hundert Überstunden innerhalb von drei Monaten

In Striebels Arbeitsvertrag ist von 42 Wochenstunden die Rede. Tatsächlich hat sie schon im ersten Quartal mehr als hundert Überstunden angehäuft. Als sie zum Dienst auf einer Station eingeteilt war, hat sie teilweise schon eine Stunde vor dem offiziellen Arbeitsbeginn um 7.30 Uhr angefangen, weil nur dann Zeit blieb, um die notwendigen Arztbriefe zu schreiben. Jetzt, in der Ambulanz, endet ihr Dienst eigentlich um 16.30 Uhr. Aber wenn der Bereitschaftsdienst zur Ablösung kommt und noch fünf oder sechs Patienten warten, „dann helfe ich ihm noch, sie zu versorgen“.

Überhaupt der Bereitschaftsdienst. Sie selbst traut sich die 24 Stunden von 10 Uhr bis 10 Uhr noch nicht zu, die Kollegen haben Verständnis. In der kirchlichen Fassung des Tarifvertrags heißt es, Bereitschaftsdienst dürfe nur angeordnet werden, „wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt“. In Wahrheit weiß Striebel von ihren Kollegen: „Wenn du mal zwei Stunden schläfst, ist das viel.“ Denn ab 16.30 Uhr ist der diensthabende Arzt bis zum nächsten Morgen allein zuständig für die internistische Ambulanz und die gut 80 Patienten auf den Stationen.

Wenn man die junge Ärztin nach den Ursachen für die hohe Arbeitsbelastung fragt, nennt sie zwei Hauptgründe: den Personalmangel und die Belastung mit fachfremden Tätigkeiten. Denn weil es auch an Pflegepersonal mangelt, gehen mitunter Stunden allein für Blutabnahmen verloren. Oder die Ärzte übernehmen Aufgaben des unterbesetzten Sozialdienstes, telefonieren Hausärzten hinterher, bemühen sich um Medikamentenlisten und kümmern sich um die Patientenentlassung. Das kirchliche Haus legt Wert darauf, dass die Weiterversorgung sichergestellt ist. „Einmal habe ich bei einem Kardiologen 30 Minuten in der Warteschleife gehangen. In der Zeit warten andere Patienten draußen und man kann keinen Ultraschall machen.“

Striebels Erfahrungen decken sich mit den regelmäßigen Erhebungen des Marburger Bundes, der als Ärztegewerkschaft knapp 120.000 Ärzte in Deutschland vertritt. Im vom Marburger Bund beauftragten repräsentativen Monitor 2017 heißt es zusammenfassend: „Arbeitsüberlastung, Personalmangel und immer mehr Bürokratie – so kennzeichnen angestellte Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern ihre Arbeitsbedingungen.“

Neben mehr Personal im ärztlichen und pflegerischen Dienst sowie dem Bürokratieabbau wünschen sich die Ärzte vor allem eine Reduzierung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit. Die Realität sieht anders aus: „Die tatsächliche Wochenarbeitszeit inklusive aller Dienste und Überstunden beträgt im Durchschnitt 51,4 Stunden“, sagt Michael Helmkamp, Sprecher des Marburger Bundes NRW.

„Wie eine Marionette“ fühlt sich Paula Striebel immer wieder im Krankenhausalltag: „Du arbeitest sehr hart, machst Überstunden noch und nöcher und kommst trotzdem mit der Arbeit nicht hinterher.“ Den Pflegekräften gehe es nicht anders, was mitunter auch die ärztliche Therapie konterkariere. „Bei einer Entwässerungstherapie muss der Patient täglich gewogen werden, um zu sehen, ob er abnimmt, aber die Pflege schafft das oft gar nicht.“

„Trotz aller Widrigkeiten immer noch mein Traumberuf“

Noch versichert die junge Ärztin, dass sie in einem Beruf arbeitet, den sie liebt, „für den ich mich bewusst entschieden habe und der trotz aller Widrigkeiten immer noch mein absoluter Traumberuf ist“. Aber ihr Anspruch, in erster Linie dem Wohl und der Genesung der Patienten dienen zu können, hat sich bereits heftig am Berufsalltag gerieben.

Denn zu den Arbeitsbelastungen kommt ein wachsendes Anspruchsdenken auf Patientenseite. „Patienten sind nicht immer freundlich und dankbar“, formuliert sie vorsichtig. „Und als Anfängerin haben mich die Angehörigen schon fertig gemacht.“ Man könne sie ja auch verstehen, wenn sie vielleicht drei Ärzte über die Gänge gehen sehen, aber nicht wissen, dass maximal einer von ihnen auch zuständig ist.

Striebels Arbeitsvertrag läuft über fünf Jahre. So lange dauert die Weiterbildung zur Fachärztin für Innere Medizin. Aber im Augenblick hat sie Zweifel, ob sie überhaupt das erste Jahr durchsteht, das sie sich dann für eine andere Fachrichtung anrechnen lassen könnte. Derzeit gibt es einen Vorstoß des Ärzteteams, auf bessere Arbeitsbedingungen zu drängen: durch die Einbindung eines Blutentnahmedienstes, durch die Einstellung einer Sekretärin für jede Station, durch Personalaufstockungen und die Einrichtung eines Spätdienstes. „Aber die Krankenhausleitung erkennt nicht, was schiefläuft.“

Kein Einzelfall. Der Monitor 2017 stellt fest: „Überlastungsanzeigen, mit denen Ärzte ihren Arbeitgeber bzw. unmittelbaren Vorgesetzten auf inakzeptable Arbeitsbedingungen hinweisen, bleiben in der Regel unwirksam. Nur in 16 Prozent der Fälle ergaben sich positive Veränderungen, 72 Prozent der Ärzte konnten keine Veränderung feststellen und bei 13 Prozent der Befragten wurde die Situation sogar schlechter.“