Was glauben Sie denn? Da sein und Aushalten

Wuppertal · Eva von Winterfeld berichtet aus ihrem Alltag als Schulpfarrerin und Koordinatorin der Notfallseelsorge Wuppertal.

Eva von Winterfeld Schulpfarrerin und Koordinatorin der Notfallseelsorge Wuppertal für die evangelische Kirche

Foto: Tim Polick

„Auf einmal hat er mir nicht mehr geantwortet. Wie soll ich denn ohne ihn weiterleben, wir haben doch nur uns“, sagt mir die Ehefrau, während sie vor sich hinstarrt und versucht zu begreifen, was gerade geschehen ist. Plötzlicher Tod. Der Notarzt konnte ihn nicht wiederbeleben. Jetzt wuseln Sanitäter durch die Wohnung, später kommen dann auch noch zwei Polizeibeamte.

Das ist eine fiktive Szene, aber solche Sätze und Gedanken hören Notfallseelsorgende so oder so ähnlich oft. In einer Großstadt wie Wuppertal sind viele Menschen in einer Krisensituation erst einmal auf sich alleingestellt. Manche haben keine Angehörigen oder sie wohnen so weit weg, dass sie gar nicht sofort helfen können.

In diesen Situationen gewährleistet die Evangelische und Katholische Kirche gemeinsam „Erste Hilfe für die Seele“ und das seit nun mehr 25 Jahren. Wir sind 365 Tage rundum die Uhr erreichbar für Feuerwehr, Polizei und den Rettungsdienst.

Wir: das ist ein Team von Pfarrerinnen und Pfarrern, Diakoninnen und Diakonen und seit einiger Zeit auch ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Zu 111 Einsätzen wurde das Team der Notfallseelsorge im Jahr 2019 gerufen. In den meisten Fällen sind das Todesfälle „nach erfolgloser Reanimation“, aber dabei sind auch Einsätze etwa nach Suizid, nach Verkehrsunfällen und am schwierigsten empfinde ich es, Todesnachrichten zu überbringen. Denn da trifft es die Angehörigen völlig unvorbereitet.

Großeinsätze wie die Germanwings-Katastrophe rücken die Arbeit ins Licht der Öffentlichkeit, aber die meisten Einsätze erfolgen im Stillen und Leisen.

Es sind die schlimmen, traumatisierenden Schicksalsschläge, wenn wir gerufen werden. Wir sind da im Augenblick größter Not, länger andauernde Kontakte sind nicht vorgesehen.

Für einen Moment werden wir ins Leben von Menschen gelassen und erfahren die Verzweiflung. Es gilt die intensiven menschlichen Gefühle auszuhalten, die das Sterben eines geliebten Menschen auslösen. Existenzielle Fragen: Was soll nun werden? Habe ich alles richtig gemacht? Ich hätte mich so gerne noch entschuldigt. Warum hat Gott das zugelassen? Und oft ist es auch einfach nur das Schweigen, was es auszuhalten gilt. Wir helfen, erste Dinge zu regeln, versuchen, ein soziales Netz zu spannen. Wir bieten an, dass sich die Angehörigen von dem Verstorbenen verabschieden können. Wenn gewünscht mit einem Gebet. Das ist jedoch lediglich ein Angebot. Unsere Arbeit ist unabhängig von Konfession und Religion. Wir handeln aus unserem christlichen Hintergrund und unserer christlichen Überzeugung, wollen aber nicht missionieren. Bei Bedarf verweisen wir natürlich auch an andere Stellen oder an die Seelsorger in den Gemeinden.

Das Wichtigste in der Seelsorge ist es, die richtige Mischung von Nähe und Distanz zu finden. Die Fragen nach dem „Warum“ können natürlich auch wir nicht beantworten. Wir können nur mit aushalten, das ist nicht immer einfach. Aber es gelingt mir, wenn ich den trauernden Menschen als meinen Nächsten sehe und als sein Nächster handele.