Kirchenaustritt „Die Austrittszahlen wären noch viel höher“
KREFELD/WUPPERTAL/SOLINGEN/DÜSSELDORF · Die Wartelisten für einen Kirchenaustritt sind lang, Termine schwer zu bekommen – eine Umfrage bei den Amtsgerichten in unserer Region.
Der Krefelder Stefan Jacobi ist sauer: „Seit einem Jahr versuchen wir, einen Termin für einen Kirchenaustritt zu ergattern – einfacher wäre es wohl, im Lotto zu gewinnen. Telefonisch ist entgegen der Beschreibung auf der Webseite des Amtsgerichts Krefeld nichts zu erhalten. Termine im Internet sind angeblich am ersten eines Monats um 7 Uhr verfügbar – gesehen haben wir diese rund um diesen Zeitpunkt noch nie. Wahrscheinlich sind die ausgewählten Termine so schnell vergeben, dass man sehr viel Glück braucht, um einen zu erhalten.“
Jacobi und seiner Lebensgefährtin gelingt es nicht, aus der katholischen Kirche auszutreten. Er ist sich sicher: „Die ohnehin schon hohen Kirchenaustrittszahlen wären noch viel höher, würde ein Austritt nicht so schwer gemacht.“
Wir haben bei den Amtsgerichten in unserer Region nachgefragt, wie dort die Austrittszahlen und das Prozedere sind.
Bundesweite Zahlen
Doch zunächst ein Blick auf die bundesweiten Zahlen: Die evangelische Kirche musste im Jahr 2022 insgesamt 380 000 Kirchenaustritte verkraften. Ein Jahr zuvor waren es noch 284 000 gewesen. Die katholische Kirche verlor im Jahr 2022 sogar 523 000 Mitglieder. 2021 hatte es hier 359 000 Austritte gegeben. Im Jahr 2022 waren noch 22,7 Prozent der Bevölkerung evangelisch (19,1 Millionen Menschen) und 24,8 Prozent katholisch (20,9 Millionen). Im Jahr 2022 war somit nur noch 47,5 Prozent der Bevölkerung in einer der beiden großen Kirchen. Wie dramatisch der Mitgliederschwund ist, zeigt ein Vergleich mit 1990. Damals waren noch 72,3 Prozent Mitglied in der katholischen oder evangelischen Kirche.
Wie steht es nun um die Austrittszahlen in unserer Region?
Amtsgericht Krefeld
Hier gab es im Jahr 2022 insgesamt 3209 Kirchenaustritte. Davon entfielen 2278 auf die römisch-katholische Kirche und 924 auf die evangelische. Übrige Austritte bezogen sich auf andere Religionsgemeinschaften.
Die Zahlen für 2021: 2292 Austritte, 1560 aus der katholischen und 690 aus der evangelischen Kirche.
Der Sprecher des Amtsgerichts Krefeld, Richter Christian Huge, sagt, dass die Termine für Kirchenaustritte für einen Zeitraum von drei Monaten im Voraus vergeben werden. Dieser Zeitraum sei eigentlich immer ausgebucht. Die aktuelle Nachfrage sei sehr hoch, bestätigt er.
Amtsgericht Wuppertal
In Wuppertal gab es im Jahr 2022 insgesamt 2589 Kirchenaustritte. Davon entfielen 1263 auf die römisch-katholische Kirche und 1295 auf die evangelische Kirche.
Die Zahlen für 2021: 2509 Kirchenaustritte, 1250 aus der katholischen und 1242 aus der evangelischen Kirche.
Gerichtssprecherin und Richterin Inka Reuber sagt: „Termine zum Kirchenaustritt werden am Amtsgericht Wuppertal viermal die Woche im Fünf-Minuten-Takt gemacht, an diesen Tagen jeweils 20 Stück, mithin im Monat circa 320 Termine. Vereinbart werden die Termine über das Internetportal online, eine Warteliste gibt es nicht. Die Termine sind circa ein bis zwei Monate im Voraus vergeben, es ergibt sich also eine Wartezeit von dieser Länge. Es würden nun wieder doppelt so viele Termine wie in der Pandemie vergeben.
Amtsgericht Solingen
In Solingen gab es 2022 insgesamt 1257 Kirchenaustritte. Davon entfielen 629 auf die römisch-katholische Kirche und 601 auf die evangelische Kirche.
Die Zahlen für 2021: Es gab 822 Kirchenaustritte, davon 439 aus der katholischen und 378 aus der evangelischen Kirche.
Derzeit könne ein Termin für einen Kirchenaustritt ab Mitte August gebucht werden, sagt Markus Asperger, Direktor des Amtsgerichts Solingen. In der Regel würden 32 Termine pro Woche angeboten.
Amtsgericht Düsseldorf
In Düsseldorf gab es im Jahr 2022 insgesamt 9549 Kirchenaustritte. Dabei traten 6211 katholische und 3338 evangelische Kirchenmitglieder aus. 2021 gab es in Düsseldorf 6011 Kirchenaustritte. 3963 Menschen verließen die katholische und 2048 die evangelische Kirche.
Auch hier können die Termine online gebucht werden, vor wenigen Tagen gab es noch Termine für den August. Täglich werden 40 Termine angeboten und an den Donnerstagen zusätzlich zehn weitere Termine. Mit der monatlichen Gesamtzahl von mehr als 800 Terminen könnten die Anliegen in angemessener Zeit bearbeitet werden, betont Pressedezernentin und Richterin Elena Frick. Die Anzahl der Termine sei in den letzten zwei Jahren stetig erhöht worden.
Joachim Horn vom religionskritischen „Düsseldorfer Aufklärungsdienst“ hatte in der Vergangenheit in mehreren Schreiben ans Amtsgericht auf den erhöhten Bedarf hingewiesen und Verbesserungsvorschläge gemacht. Und dabei den Missstand so umschrieben: „Es ist wie bei einem Konzert der Toten Hosen. Innerhalb weniger Stunde sind alle Tickets weg.“ Nun sagt Horn: „Wir sind dem Amtsgericht dankbar, dass es unsere Vorschläge – wenn auch sehr zögerlich – letztlich umgesetzt hat.“ Die zusätzlich freigeschalteten Termine führten zu einer merklichen Entspannung der Situation.
In Krefeld ist das freilich anders. Stefan Jacobi ist nach einem Jahr erfolgloser Bemühungen um einen Termin frustriert, dass er weiterhin in „Zwangsmitgliedschaft“ inclusive Kirchensteuerpflicht gehalten wird. Mit einer Gerichtsgebühr von 30 Euro könnte er sich „freikaufen“, aber dafür braucht er nun mal einen der begehrten Termine beim Amtsgericht. Und dafür muss er an den Tagen, an dem früh morgens die Termine freigeschaltet werden, zeitig am Computer sitzen. Und scheitert trotzdem – immer wieder.