Augenärzte: „Wir nehmen keine neuen Kassenpatienten mehr auf“
Jutta Pilat konnte vor lauter Tränen nichts mehr sehen. Medizinische Behandlung — Fehlanzeige.
Krefeld. Jutta Pilat hat eine wahre Odyssee hinter sich. Ihre Augen tränten so sehr, dass sie nichts mehr sehen konnte. Sie machte sich auch Sorgen, was der Grund für die Erkrankung war. Doch keiner der Augenärzte, die sie zu konsultieren versuchte, stand über die reine Notfallversorgung hinaus für die medizinische Behandlung parat.
Vielmehr sei sie von den Helferinnen an der Rezeption unverschämt behandelt worden. Die allgemeine Aussage lautete: „Der Arzt hat keine Zeit, er nimmt auch keine neuen Patienten mehr auf — keine Kassenpatienten, versteht sich.“
Pilat: „Nachdem ich mir zuerst ein Präparat aus der Apotheke geholt habe, ging ich zu meinem Internisten, weil ich dort sowieso einen Termin hatte. Er hat versucht, mir zu helfen, es hat aber nicht funktioniert. Die Augen waren rot, sie tränten ohne Unterbrechung.“
Also versuchte sie weiterhin, einen Augenarzt aufzusuchen. Das Ergebnis: „Es gibt in Krefeld keinen, der noch Patienten, sprich: Kassenpatienten, aufnimmt. Das wird einem deutlich zu verstehen gegeben“, erklärt die Patientin.
Der Augenarzt, bei dem sie zuletzt in Behandlung war, hat ihr mitteilen lassen, dass seit ihrem letzten Besuch zehn Jahre vergangen sind. Sie sei deshalb aus der Kartei genommen worden und habe somit keine Chance. Die Sprechstundenhilfe erklärte, dass „ich es erst gar nicht bei anderen Augenärzten zu versuchen bräuchte, es wäre überall das Gleiche.“
Ein Mediziner erklärte sich bereit, sie als Notfall zu behandeln, sie dürfe aber nicht wiederkommen. Pilat: „Eine Sprechstundenhilfe hat mir dann gesagt, sie habe gehört, dass da noch ein Arzt wäre, der Patienten aufnimmt, der wäre aber in Urlaub. Meine Krankenkasse hat mir den Rat gegeben, in die Notaufnahme eines Krankenhauses zu gehen.“
Den Arzt, der seine Praxis am Ostwall hat, hat sie nach dem Urlaub aufgesucht. Ihr wurde von der Sprechstundenhilfe bedeutet: „Hinsetzen und warten“. Diese mehr als unfreundliche Art, mit der manche Helferinnen ihre Macht ausüben, kann Pilat überhaupt nicht nachvollziehen. Auch einen Arzt für den Notfall ohne weitere Behandlungsmöglichkeit wollte sie nicht. „Bei einer solchen Behandlung kann ich doch kein Vertrauen aufbauen.“ Jutta Pilat ging.
Durch die Vermittlung einer Bekannten fand Pilat eine Augenärztin am Westwall, die eine gründliche Untersuchung durchführte und mit dem richtigen Medikament half. „15 Minuten hat das gedauert“, erklärt Pilat und versteht die Augenärzte-Welt nicht mehr.
Dr. Michael Knobloch, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV): „Dieser Vorfall ist traurig und tragisch, aber das Verhalten der Ärzte ist durch die gesundheitspolitische Reglementierung bedingt. Ein Arzt darf nicht so viele Patienten aufnehmen, wie er möchte, denn er bekommt pro Quartal genau 1200 bezahlt. Also: Den 1201. nicht mehr, den muss er selbst finanzieren. Also kann er gar nicht anders als ablehnen, wenn er wirtschaftlich vernünftig arbeiten will. Die Krankenkassen decken die Kosten nicht.“
Für jeden Kranken gebe es von den gesetzlichen Krankenkassen darüber hinaus ein festes Budget für Augenärzte von 14,27 Euro pro Quartal, ganz gleich, wie oft sich der Patient in dieser Zeit in der Praxis vorstelle, so der KV-Vorsitzende.
Michael Knobloch erklärt, dass durch diese gesundheitspolitische Regelung auch junge Ärzte abgeschreckt würden, sich niederzulassen. Es gebe demzufolge freie Stellen — oder die Ärzte öffneten ihre Praxen nur noch für Privatpatienten. „Es sind die Folgen des Systems und keine Arroganz, die die Ärzte treiben.“
Knobloch ist sicher, dass die Mediziner sowieso schon über die begrenzte Zahl der Patienten hinausgehen — nur nicht, wenn es zu viele würden. „Wir hätten es gerne anders.“