Frühwerk des Künstlers ist im Krefeld Pavillon zu sehen Thomas Schütte – Theater aus der Jugendzeit

KREFELD · Das Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 ist verpufft. Vor 100 Jahren in Weimar gegründet wurde die Kunstschule zu einer der wichtigsten der Moderne. Geblieben ist der Krefelder Pavillon von Thomas Schütte, eine Mischung aus temporärem Bauwerk und Nomadenzelt.

Charakterköpfe: Künstler Thomas Schütte in seiner Ausstellung „Etwas fehlt“ im Krefeld Pavillon.

Foto: Andreas Bischof

Er kann schnell abgebaut und anderswo aufgestellt werden. Er kopiert keinen Schuhkarton, um eine direkte Bauhaus-Referenz zu finden, sondern gibt sich als verspieltes Sommerhaus. Dort lässt der Künstler aus Düsseldorf seine Anfänge Revue passieren. Sie sind lapidar und fast schon banal, aber zugleich beredt, witzig und angriffslustig.

Schütte lernte an der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler das Zusammenspiel von Logik und Irrationalität kennen, bevor er sich in die Klasse von Gerhard Richter begab. Er war 23 Jahre alt, als er die abstrakten „Farbtafeln“ seines Lehrers persiflierte. Er pinselte einfach mit lockerer Hand und vier verschiedenen Grüntönen 150 PVC-Täfelchen an und lehnte sie an dünnen Stiften schräg an die Wand im Flur der Akademie. Das Spiel mit der Malerei machte Furore. Die ersten wichtigen Galerien rissen sich um den Studenten.

Wer diesen längst berühmten grünen Kacheln begegnet, ist erstaunt über den Wechsel von Illusion und Realität. Von weitem wirken die Plättchen wie ein Mauerwerk aus Kacheln, von nahem erstaunt die lapidare Vorgehensweise. Julian Heynen hatte die „Mauer“ 1986 in Haus Lange gezeigt. Anschließend verschwand die Arbeit in Pappkartons. Erst jetzt, wo man im MoMa die große Retrospektive für Schütte in New York vorbereitet, befreite Schütte die fast vergessene Leihgabe aus den Kartons im Museum, damit auch die amerikanische Kuratorin einen Blick darauf werfen kann.

Noch irritierender wirkt „Lager“ von 1978: 50 von ursprünglich 150 farbig lackierten Holzplatten stehen in Dreierpacks auf dem Boden, platzsparend hintereinander an der Wand gelehnt. Die Schnittkanten sind unbehandelt, die Bretter haben Löcher, aber die Oberflächen strahlen im lichtdurchfluteten Raum. Wieder wirkt alles beiläufig und zugleich grandios. Und Schütte betont: „Das ist keine Malerei, das sind Möbel. Man kann sie an die Wand hängen.“ Alte Fotos zeigen, wie sie einst am versifften Waschbecken im Klassenraum standen. Kunst als Bilderlager.

Doch beizeiten inszenierte er sein eigenes Theater, unabhängig von seinen Lehrern. Direkt unter der Lichtkuppel im Pavillon steht in der Raummitte die Fünfergruppe der „United Enemies“ von 1994. Der Titel assoziiert den Strickwarenkonzern „United colours of Benetton“, der mit der Werbung des Fotografen Oliviero Toscani einst provozierte. Das blutverschmierte Hemd des Toten aus dem Bosnien-Krieg war eine Skandalnummer. Schütte steuerte dagegen, indem er die „Feinde“ einfach mit Kordeln und Ripsbändern zusammenband, mit roten und blauen Stofffetzen drapierte, ins ausrangierte Armani-Hemd steckte oder in die abgelegten Kleidungsstücke seiner Ex-Frau hüllte.

Auf diesen grob gefertigten Wickelpaketen, die ihren Halt in ein paar Holzstäbchen finden, stecken handgefertigte Köpfe. Sie bestehen aus dem damals beliebten Fimo, einer schnell trocknenden und härtenden Knetmasse für Kinder. Die Köpfe sind dennoch bestens ausformuliert und bezeugen seine perfekte Modellierkunst. Mit feinem Fingerspitzengefühl erforscht er die Möglichkeiten der Skulptur. Zugleich zeigt der 65-Jährige, wie brillant er mit Farben umgeht. Die Gesichter sind rotzfrech angemalt. Ein Gelbkopf neben einem Rotkopf bekommt ein komplementäres Grün übergebraten.

Schütte weiß sehr wohl um die Qualität seiner Spaß- und Spießerfiguren, weshalb er sie neuerdings in monumentale Charakterköpfe aus Keramik überträgt. Das Gros ist gegenwärtig im Düsseldorfer Hetjens-Museum zu sehen. Ein überzähliges Exemplar ist in Krefeld ausgestellt, ein ältlicher Männerkopf mit rundlichen, zufriedenen Zügen. Natürlich fehlt auch eine Variante zu „Mann im Matsch“ nicht. Auch dieses Bild des feststeckenden Mannes begleitet Schütte seit seiner Studentenzeit. Es geht zurück auf ein  Wachsmännchen, das nicht auf seinen modellierten Füßen stehen wollte und daher in eine kleine Plastikschale eingegossen wurde. Der aktuelle „Mann mit Fahne“ ist von 2018 und hält einen traurig baumelnden Lappen in der Hand.

Schütte hat ein sicheres Raumgefühl, weshalb er seine Ausstellungen stets selbst einrichtet. Das war schon bei „Hotel for birds“ (2006) so, als er für die frei gelassene Plinthe am Trafalgar Square demonstrativ ein Architekturmodell plante. Noch heute bekommt er glänzende Augen, wenn er an das Riesentheater denkt, das das farbenfrohe, transparente Material den Londonern bereitete, denn die Tauben kamen stets im Tiefflug angerauscht, um sich dort niederzulassen. Die Londoner zahlten schließlich 100 000 Pfund im Jahr, damit ein Falkner Wache schob, den Raubvogel auf dem Arm, der den Tauben Angst einjagte.

In seinen 14 „Skizzen zum Projekt Großes Theater“ erweist sich Schütte zugleich als talentierter Szenograf. Die Arbeiten stammen von 1980, als die Spielpuppen von Star Wars zum „Krieg der Sterne“ und „Raumschiff Enterprise“ auf den Markt kamen. Sie waren biegsam und tanzten nach Schüttes Pfeife. Er stellte sie vor oder hinter seine Bühnenvorhänge und ließ sie zu Politvokabeln wie „Freiheit“ oder „Im Namen des Volkes“ die Arme recken oder Kopfstand machen. Sie agieren wie Zuschauer. Wir als Betrachter dürfen zuschauen, wie die Figuren zuschauen. Ein lustiges Spiel. Auf einem Theaterschild steht: „Etwas fehlt.“ Es gibt den Titel der Ausstellung an.