Krefeld Caritas-Geschäftsführer im Interview: Balance zwischen sozial und wirtschaftlich

Verband und Heime haben für die künftige Ausrichtung Visionen erarbeitet. Caritas-Geschäftsführer Hans-Georg Liegener nennt für die Zukunft die Herausforderungen.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Die Caritas Krefeld feiert am 8. Juni offiziell ihr 100-jähriges Bestehen in Krefeld. Damit zählt der Verband zu den ältesten Ortsverbänden in Deutschland. Die caritativen Aufgaben sind nicht weniger geworden. In Zeiten knapper Ressourcen bedarf es jedoch längst auch wirtschaftlichen Geschickes, dass sich die verschiedenen Arbeitsfelder finanziell tragen und bei Bedarf auch anpassen und ausbauen lassen — ohne die christliche Prägung aufzugeben. Über diesen Spagat und die Herausforderungen an einen modernen Sozialverband im 21. Jahrhundert spricht die WZ mit Geschäftsführer Hans-Georg Liegener.

Wo liegen die Herausforderungen für einen modernen Sozialverband?

Hans-Georg Liegener: Tja, das ist mit einem Satz schwer zusammenzufassen. Einerseits muss man dem Wort Sozial gerecht werden, andererseits als Sozialunternehmen einen guten Job machen. Als Verband sind wir aber noch viel stärker eingebunden als Anwalt für die, die nicht genügend zu Wort kommen und oftmals am Rande der Gesellschaft stehen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Liegener: Zum Beispiel die Alkohol- und Drogenhilfe. Trotz guter Zusammenarbeit mit der Stadt müssen wir uns kritisch ihr gegenüber äußern, wenn wieder einmal über die Vertreibung der Abhängigen vom Theaterplatz diskutiert und laut nachgedacht wird.

Und die Zahl der verschiedenen Abhängigen nimmt zu.

Liegener: Die Alkohol- und Drogenhilfe ist auch in Zukunft eine unserer Aufgaben. Ein Verband muss sich dennoch weiter entwickeln, vorwegnehmen, wo Hilfe und Unterstützung künftig notwendig ist. Zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe, aber dazu später. Bedingt durch die begrenzten Ressourcen eines Verbandes müssen deshalb die Arbeitsfelder von Zeit zu Zeit betrachtet und gegebenenfalls alte Aufgaben aufgegeben werden.

Was heißt das für die Caritas Krefeld?

Liegener: Mit Blick auf die Altenhilfe wollen wir künftig auch qualitativ Marktführer sein, nicht nur quantitativ. Dafür brauchen wir finanzielle Überschüsse und müssen aufpassen, nicht zu viel in die Querfinanzierung von unterschiedlichen Angeboten zu stecken. Vielmehr müssen wir als Sozialverband wissen, wie wir uns in unseren Arbeitsfeldern in der Zukunft aufstellen wollen.

Das hört sich nach Visionen an.

Liegener: Ja, tatsächlich. Kurz vor unserem 100. Geburtstag des Caritasverbandes hat die Leitungsebene in 2015 eine Vision für den Verband entwickelt, die etwa zehn Jahre überblicken will, und unter der Überschrift „Vision 2030“ haben sich die Caritasheime auf den Weg in die Zukunft gemacht.

Wie sieht die Vision 2025 für den Caritasverband aus?

Liegener: Aus heutiger Sicht wollen wir als Verband 2025 in unseren Hauptarbeitsbereichen weiter tätig sein; allein bei der Drogenhilfe sehen wir großen Bedarf, zum Beispiel beim Thema Mediennutzung. Da lässt sich Suchtverhalten inzwischen klar erkennen. Einen anderen Bereich, die Altenhilfe, wollen wir weiter ausbauen, nicht die Betten, sondern die Angebote. Die Lebensbedingungen der alten Menschen ändern sich und wir brauchen neuen Wohn- und Betreuungsformen. Auch wollen wir alles, was zum Palliativ-Bereich gehört, ausbauen. Wir haben in Deutschland keine aktive Sterbehilfe, wir wollen jedoch als gute Begleitung Sterbenden zur Seite stehen. Wir sind in Krefeld die Einzigen, die eine ambulante Palliativpflege aufgebaut haben und anbieten. Das hat seinen Preis, ist uns aber wichtig.

Auch Migration und Integration wird immer wichtiger.

Liegener: Die Flüchtlingsfrage beziehungsweise die Zunahme von Flüchtlingen, haben wir früher als andere gespürt. Integration wird immer wichtiger. Deshalb haben wir uns entschlossen, unseren Migrationsdienst auszubauen. Wir haben jetzt zusätzlich eine halbe Stelle in der Beratung und eine halbe Stelle zur Begleitung von Ehrenamts-Kreisen. Die Aufstockung der Beratung war eine Entscheidung des Verbandes. Die zweite halbe Stelle wird durch zusätzliche Kirchengelder finanziert. Auch hat der Caritas-Verband Ehrenamtskoordinatoren in städtischen Unterkünften installiert.

Reichen die beiden halben Stellen aus?

Liegener: Nein, bei uns nimmt die Nachfrage nach Rückkehrberatung zu, mancher der Flüchtlinge ist mit einer falschen Vorstellung nach Deutschland gekommen. Andererseits gilt es, das Potenzial der Migranten für uns und unsere Gesellschaft zu erschließen. Wir als Caritas sind stolz darauf, von ihrer Herkunft sehr verschiedene Arbeitnehmer zu haben. Das ist für uns auch ein Beispiel für gelungene Zusammenarbeit und interkulturelle Offenheit.

Um die beiden Visionen umzusetzen, bedarf es in einem Sozialunternehmen auch Geld. Schreibt die Caritas inzwischen wieder Schwarze Zahlen?

Liegener: Schon lange wieder. Wir haben 2013 vor allem wegen der Krefelder Caritasheime die Reißleine gezogen. Die gemeinnützige GmbH schrieb Millionendefizite. Deshalb gab es personelle Veränderungen in der Geschäftsführung und zusätzlich ist ein Beratungsunternehmen engagiert worden.

Mit der Folge?

Liegener: Der Verband hat 2014 mit einem Plus von 85 000 Euro abgeschlossen, die Heime mit knapp einer halben Million. Im vergangenen Jahr haben wir ähnlich abgeschlossen wie in 2014. Am 30. Juni erscheint der nächste Geschäftsbericht. Wir sind auch stolz darauf, zu den ersten Ortscaritasverbänden in Deutschland zu zählen, die ihre Finanzen im Rahmen eines Transparenzberichtes veröffentlichen. Seit vergangenem Herbst können alle wesentlichen Zahlen des Verbandes und der Caritasheime, die Organisations- sowie die Kontrollstruktur im Internet auf unserer Seite nachgelesen werden. Das schafft Vertrauen.

Mit welchen Konsequenzen ist es gelungen, wieder Schwarze Zahlen zu schreiben?

Liegener: Wir haben zunächst in der GmbH die personellen Überhänge in der Hauswirtschaft abgebaut und die bis dahin gängige Leiharbeit gestoppt. Das hat einige Hunderttausend Euro eingespart. Die zunächst angedachte Kürzung des Weihnachtsgeldes war nachher nicht mehr notwendig. Viele der Probleme sind auf die damalige Struktur der GmbH zurückzuführen, alle Häuser waren sehr autark geführt. Jetzt gibt es für alle einen gemeinsamen Speiseplan wie auch den Zentraleinkauf. Dadurch können wir die Ausgaben im Sachkostenbereich steuern. Kein einziges Haus ist mehr defizitär. Das liegt auch daran, dass die angebotene Kurzzeitpflege sehr konstant ausgelastet ist und sich jetzt selber trägt, aber auch an den sehr guten Pflegesatzverhandlungen. Einen Personalabbau in der Pflege hat es nicht gegeben.

Vor drei Jahren gab es bei Teilen der Belegschaft Unmut über die Arbeitsbedingungen in den Heimen. Davon ist nichts mehr zu hören.

Liegener: Wir arbeiten seither erfolgreich an der Arbeitszufriedenheit. Es gibt Klarheit bei der Arbeitszeit und entsprechende Dienstvereinbarungen. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitervertretungen ist viel enger. Das ist ein guter Dialog, wir reden miteinander und regeln das, was zu regeln ist. Und unsere Mitarbeiter werden inzwischen 1:1 wie das Aufsichtsgremium über alle Zahlen informiert. Dadurch werden wir unsere Visionen auch gemeinsam umsetzen können.